Der Kaiserring mit der abwesenden Künstlerin

Seit 1975 vergibt Goslar den renommierten Kaiserring. Ein internationaler Kunstpreis, der nicht dotiert ist, aber mit Prestige einhergeht. Dieses Jahr ging er an Miriam Cahn, die es nicht schaffte zu erscheinen.

Geschätzte Lesezeit: 7 Min

Geschrieben von Jonë Zhitia

Gewalt ist alltäglich. Wir können ihr nicht entkommen, selbst wenn es uns ein Anliegen wäre, sie zu umgehen. Also verschließen wir ständig die Augen, rechtfertigen es vor uns selbst: Man müsse ja irgendwie durch den Tag kommen.

Miriam Cahn, die diesjährige Preisträgerin des Kaiserrings, empfängt sie mit offenen Armen. Fabrice Hergott, Director, Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, sagt in seiner Laudatio auf die Künstlerin: "Miriam Cahns Werke sprechen von Einsamkeit, Sexualität und Gewalt."  Sie wohnt ihr vielleicht inne. Als Kind jüdischer Abstammung, als Frau. Und: Als Mensch, der sich der Gewalt unserer Welt bewusst ist und gegen sie anzukommen versucht.

 

Geboren 1949 in Basel, der Schweiz, lese ich in manchen Zeitungen, dass man schreibt, sie habe auch einen Deutschlandbezug. Da liegen ihre Wurzeln. Mehr wird nicht erwähnt. Ich frage mich, ob das möglich ist, in einem Land seine Wurzeln zu haben, das versucht hat, dich zu vernichten. Aber gut. Es stimmt, ihre Eltern sind, wegen der jüdischen Abstammung ihres Vaters, vor den Deutschen in die Schweiz geflohen.

Aber generell ist das Sprechen um Cahn verwunderlich. Bei ihrem Auftritt der Sternstunde Philosophie zum Beispiel beschreibt die Moderatorin Barbara Bleisch ihre Bilder als verstörend und wählt dann beispielhaft als Erstes das Bild „gebären“, das, wie der Titel sagt, eine Geburt darstellt.

 

Ihre Bilder sind erfüllt von einer gewissen Unaufhaltsamkeit. Wunderschön, aber bedrohlich. In den Schatten und Farben der Welt gemalt, die sie darstellen. Und es ist diese Art, die sich nicht mit Euphemismen aufhält oder mit Anstand kokettiert, die der Kunst die Freiheit verleiht.

 


„ – verheiratet sein, den mann ertragen, und die kinder in den beinen, das ist nichts für mich. ich will frei und unabhängig sein. sonst kann ich mich der kunst nicht widmen.“

(aus „Schreiben des  Zorns“ von M.C.)

 


Cahn verfolgte im Leben wie in der Kunst: Freiheit. Freiheit von sozialen Zwängen, auch wenn diese in Form von menschlichen Beziehungen kamen. Aber auch Freiheit vom Materiellen, von dem Zirkus des Betriebs, an den ihre Kunst gebunden war. Obwohl sie zahlreiche Preise gewann und eine internationale Größe der Kunstwelt ist, lebt sie nicht, wie sie könnte, als Teil der höheren Gesellschaft, sondern zurückgezogen, in einer kleinen Stadt in der Schweiz. Sie stellt gerne ihre Kunst ins Rampenlicht und nur ungern sich selbst. Es ist diese Haltung, die vielen aufstieß, als man ihr den diesjährigen Kaiserring verlieh.

 

 

 

Die Empörung war sehr groß, als die Künstlerin mit der Begründung, die Kunst solle im Mittelpunkt stehen und nicht sie, die Einladung nach Goslar ablehnte und verkündete, nicht zur Preisverleihung zu erscheinen. Die Enttäuschung über diese Entscheidung wurde auch in der Presse viel diskutiert. Gerade die CDU hatte erstaunlich viel dazu zu sagen. Der Rhetorik nach könnte man glauben, Miriam Cahn hätte mit der Entscheidung, nicht zu erscheinen, einen international renommierten Kunstpreis eigenhändig entwertet und zerschlagen. Auch wurde, wenn nicht explizit gesagt, zumindest impliziert, ihr Nicht-Erscheinen sei etwas Persönliches gegenüber Goslar. Es würde für den Bedeutungsverlust des Preises sprechen. An manchen Stellen lassen sich die empörten Meinungen von manchen Politikern so lesen, als ob Cahn gesagt hätte: „Ich liebe Preisverleihungen eigentlich, aber Goslar ist mir zu popelig“. Dass die Künstlerin generell zurückscheut und auch ihre eigenen Ausstellungen zwar aufbaut, aber bei der Eröffnung ungern anwesend ist, erwähnte kaum jemand. So undurchsichtig vielen die Erklärung schien, dass sie ihre Kunst für sich sprechen solle, ist es der Modus operandi, den sie seit Jahrzehnten bedient.

Über die Verleihung selbst wurde mir gesagt, dass sie immer sehr gut besucht sei. Der Saal würde überquellen vor Menschen, ein Event, von dem Goslarer_innen unbedingt Teil sein wollen. Am Tag der Verleihung jedoch bleiben ein paar der Plätze unbesetzt. Die Anwesenden rücken zusammen. Ich frage mich, ob die leeren Plätze nicht so auffällig wären, wäre dieser Saal, der Kaisersaal in der Kaiserpfalz, so prunkvoll, so imposant.

Der Tag beginnt mit Musik und der Begrüßung durch Oberbürgermeisterin Ute Schwerdtner, „üblicherweise begrüße ich an dieser Stelle, die Hauptperson, Miriam Cahn, die heute aus persönlichen Gründen leider nicht anwesend sein kann“. Ich verstehe die Wahl der Worte, aber ärgere mich auch: Cahns Gründe sind keine persönlichen, sie sind Ausdruck ihres Selbstverständnisses als Künstlerin. Ich räume ein, dass mir die Differenzierung vermutlich deswegen so wichtig ist, weil ich selbst Künstlerin bin. Aber ich komme nicht umhin, mich zu fragen, ob der ganze Diskurs um Cahn auch dann so eskaliert wäre, wenn sie ein Mann wäre. Während der Diskussion sprachen die Kritiker (es waren nur Männer, deren Stimmen ich zu dem Thema las), nämlich viel, aber nie von der eigentlichen Arbeit der Künstlerin.

 

 

 

Die Bedrohung für Meinungs- und Kunstfreiheit ist so fühlbar wie noch nie. Wir sehen es in der ganzen Welt. Nicht nur Russland, sondern auch große Teile Europas sind von einem steigenden Autoritarismus betroffen. Und jetzt auch noch Trump, der offen seine Maßnahmen gegen Meinungsfreiheit bereits bekannt gegeben hat. Auch in Deutschland haben Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, Angst. Politiker_innen, die aus Sorge um die eigene Sicherheit und die der Familie zurücktreten, sind keine Seltenheit mehr.

Miriam Cahn macht sehr wichtige Kunst. Kritisch, kompromisslos und mächtig. Gerade in diesen Zeiten sehe ich es als Pflicht, über persönliche Befindlichkeiten hinwegzusehen und Kunst zu feiern.

Nach der Verleihung saß ich bei Sekt im Garten des Mönchehauses, wo die Ausstellung von Miriam Cahn zu sehen ist. Am Tisch waren ein paar weitere Personen, die alle ein großes Problem mit der Abwesenheit der Künstlerin hatten. Aber sie waren da. Als ich sie fragte, ob sie denn überlegt hätten, wegen ihrer Uneinigkeit mit der Künstlerin nicht zu kommen, sagte mir eine sehr kluge Frau: „So weit kommt’s noch“. So fernab schien es ihr. Denn natürlich hat jeder das Recht, seine eigene Meinung zu haben. Ich habe in diesem Text ja sehr deutlich meine gezeigt. Aber es ist trotzdem wichtig, zusammenzukommen und nicht beleidigt zu Hause zu sitzen. Und deswegen hier nochmal danke an meine famosen Gesprächspartner_innen dieses Nachmittags und dass sie mit mir gemeinsam die Kunst und die Freiheit, die sie verspricht, feierten.  

 

 

 

mit den augen sehen

mit den händen denken

mit den armen und beinen und füssen laufen

mein hirn ist mein körper