Der Ring
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Geschrieben von Hank Zerbolesch
13.10.2025
Teil 1: Die Verleihung
Kaiserringverleihung in der Kaiserpfalz. Alle Plätze sind besetzt. Ich bin der einzige mit Kopfbedeckung, aber nicht der einzige in Jogginghose. Der Mann neben mir gähnt, die Frau vor mir sieht sich um als suche sie jemanden, während sie nervös mit ihrem Bein wippelt. Die Stimmung ist gespannt bis gelangweilt.
Irgendwann: die Bürgermeisterin kommt mit der Preisträgerin Katharina Fritsch in den Saal. Das Publikum steht auf und klatscht – in genau der Reihenfolge –, und dann geht es los. Die nächste Dreiviertelstunde besteht aus einem beständigen Wechsel vom Danksagung und Applaus. Danke und Klatschen, Danke und Klatschen, Danke und Klatschen: ein richtiges Dank- und Klatschfestival ist das. Es wird mehr gedankt und geklatscht, als an der Kasse beim Edeka Bitte und Danke und Bitte gesagt wird. Und ich versteh das. Dieser Preis braucht viel Vorbereitung und auch ehrenamtliches Engagement, und dann will man niemanden vergessen, aber. Wenn ich beim Einwohnermeldeamt einen Personalausweis abhole, dann steht da auch nicht die Sachbearbeiterin und bedankt sich erstmal den halben Tag bei allen involvierten Personen: Dem Fotografen, dem Kurierfahrer, der Anja von der Bundesdruckerei, dem Ingo aus der Mensa. Und ja, der Vergleich ist mindestens schief, aber genau daran muss ich denken, als ich das Gedanke und Geklatsche höre und sehe.
Davon ab ist das alles nicht nur frech der Person gegenüber, um die es hier eigentlich geht, sondern auch wirklich schwer auszuhalten für all diejenigen, die hier sitzen – so wie ich. Die Veranstaltung leidet unter diesem Bedankungsamboss, sie wird spröde und langatmig und – und das ist das Schlimmste –, langweilig.
Und um das hier mal ein bisschen weniger abstrakt zu machen: Die Preisverleihung geht so um die 70 Minuten. Pi mal Daumen. Und davon bestehen circa 50 aus Danke und Klatschen, Danke und Klatschen, Danke … Ihr habt den Punkt. So. Und jetzt stellt euch vor, ihr geht ins Kino, der Film geht zwei Stunden, und davon gehen dann eineinhalb für den Abspann drauf – und der wird aber vor dem Film gezeigt. Da kriegt man schon schlechte Laune, wenn man sich das nur vorstellt, oder? Eben.
Mir ist schon klar, dass Festlichkeiten wie diese auch immer Selbstinszenierungen der Stadt sind, und das ist okay: geschenkt. Aber es geht hier um Katharina Fritsch. Ihr Name steht auf den Plakaten, auf den Flyern, auf den Einladungen und auf der Urkunde. Und dass Ministerpräsident Olaf Lies in ungefähr der Mitte der Veranstaltung der erste ist, der (abgesehen von eingestreuten Platitüden) überhaupt mal was zur Künstlerin und ihrem Werk sagt, ist echt peinlich. (Nicht für Olaf Lies.)
Ich weiß nicht, wie Katharina Fritsch die Sache sieht (jede Wette, die sieht das weniger aufgeregt als ich), aber für mich ist der Punkt auch nicht der, dass die Künstlerin nach hinten geschoben wird, sondern dass alle anderen von Dritten vorgeschoben werden.
Und dann immer dieses Dürfen! Ehrlich, dieses ewig geduckte: 'ich freue mich, dass ich dies darf, dass ich jenes darf, so schön, dass ich hier sein darf'. Das ist mindestens so nervig und ärgerlich wie das permanente Gedanke und Geklatsche. Hört auf damit! (Katharina Fritsch übrigens sagt während der gesamten Veranstaltung zwei Sätze. Sie dankt ihrer Laudatorin Prof. Marion Ackermann, und dann der tollen Stadt Goslar.) (Diplomatische Frau.)
Teil 2: Die Ausstellung
Es ist voll im Mönchehaus. Ich bin nicht mehr der einzige mit Kopfbedeckung, dafür aber jetzt der einzige in Jogginghose. Ich laufe durch die Ausstellung. Sehe den blauen Hahn, die schwarze Maus, ein paar Muscheln und andere Skulpturen und Drucke. Vor den beiden blauen Männern bleib ich stehen. Den vorderen seh ich so lange an, bis ich das Gefühl hab: ‚Der macht die Augen auf. Jetzt gleich, pass auf … Jetzt!‘ Und während ich auf jede kleinste Veränderung im Gesicht des Mannes achte, die kleinen Falten beobachte und schaue, wann sich der Brustkorb hebt und senkt, vergess ich alles um mich herum. Den Geruch von gebratenem Fleisch, die Wärme im Saal, die Blitzlichter der Kameras, das Gerede der Leute. Und als ich mich irgendwann später von den blauen Männern löse und einen Raum weitergehe, da seh ich ihn auf einem weißen Sockel, mein Lieblingsstück der Ausstellung: den erhobenen Zeigefinger.