Ein neuer Tag

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Geschrieben von Hank Zerbolesch

25.10.2025

05:16 Uhr. Ich bin wach. Und nicht so ein bisschen, sondern wach wach. So 15 Uhr Dienstagnachmittag wach. Draußen ist es so still wie in einem Sack voll Mehl, und in mir drin startet irgendwas die Maschinen: „Als erstes machst du das, dann das, dieses darfst du nicht vergessen, jenes auf gar keinen Fall, und Dings hier, das schiebst du schon ein paar Tage.“ Ja ja, ich steh ja schon auf.

5:48 Uhr. Es gibt da diese urbane Legende. Die besagt, dass hoch oben in den Berliner Penthäusern ein ganz besonderer Kaffee getrunken wird. Super teuer, irgendwo vom Amazonas, oder so. Und das besondere an dem Kaffee ist – haltet euch fest –, dass die Bohnen vorher von einer Katze verdaut wurden. Kein Scheiß. (Obwohl streng genommen doch.) Die Katzen essen die Kaffeebohnen, verdauen die, und dann gibt es Leute, die fischen die Kaffeebohnen aus den Exkrementen der Katze und verarbeiten die weiter. Jetzt stellt euch vor, wie dieser Kaffee schmeckt. Das multipliziert ihr jetzt mit 18 (nach unten hin), dann habt ihr ein ungefähres Bild, wie mir mein Kaffee hier gerade im Mund liegt. Irgendwas ist da schief gelaufen heute morgen, ich weiß auch nicht. Und dann muss ich auch noch auf dem Ingwer rumkauen, weil nicht Sommer ist. Hoffentlich wird das nicht einer dieser Tage. Schnell den Rechner an und arbeiten.

09:30 Uhr. Fertig mit Schreiben. Fragt einfach nicht.

Vielleicht eine Sache: Wenn man die Kunst zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht hat, so wie ich. Und wenn das Schreiben etwas ist, dass dich jeden Tag begleitet. Wirklich. Jeden. Tag. Und wenn du den Tag auch genau damit anfängst! Und wenn das dann nicht so läuft, wie es laufen sollte. Oder könnte. Dann kannst du den Tag eigentlich schon in die Tonne kloppen, bevor du überhaupt das Haus verlässt. (Was es erfahrungsgemäß nicht besser macht, das Haus verlassen, aus diversen Gründen.) (Einer sind die Menschen, ein anderer … also ich sag mal so: heute Nacht werden die Uhren auf Winterzeit gestellt.) Hoffentlich wird das nicht einer dieser Tage. Erstmal duschen jetzt.

10:15 Uhr. Haftbefehl gehört. Leben wieder in der Bahn.

11:02 Uhr. Beim Einkaufen über mein Veranstaltung gestern nachgedacht. Was war gut, was weniger, was mach ich beim nächsten Mal besser. Fazit: Richtig gut war das, nächste Mal genauso. (Vielleicht ein zwei Bier weniger vorher.) (Aber der Tag gestern hat das einfach nicht hergegeben.) Viel gute Begegnungen gehabt. Immer wieder erstaunlich, wie verschieden die Menschen auf ihre Stadt schauen. Einer liebt’s, einer hasst’s, und einer fand früher alles besser. Zurück beim Einkauf an der Kasse kurz geschluckt: wieviel? Dann lächeln, winken, weiter. Nützt ja alles nix.

12:24 Uhr. Sekundäre Literaturarbeit. Scripten, produzieren, untertiteln und verhashtaggen eines Reels für morgen, weil morgen ist Sonntag und Sonntag ist Buchempfehlungstag. Danach Recherche für Literaturstipendien. Ein Stipendium wirbt mit 1.000 Euro monatlich für ein halbes Jahr, inklusive Dachgeschosswohnung ohne Küche. Auf mein Konto gesehen: leider kein Erbe. Eltern angerufen: leider nicht wohlhabend. Dann Browserfenster geschlossen und weiter recherchiert.  

18:15 Uhr. Zwei Folgen „House of Guinness“ gesehen. Netflix-Algorhythmus meinte, das muss ich mir angucken, ich werd das feiern, auf jeden Fall. Und ich sag mal so: Ich hab sehr lange schon nicht mehr so eine Scheiße gesehen. Peter Steiners Theaterstadl war realistischer als dieser Humbug. Alles hier sieht aus wie aus Pappe. Die Orte, die Requisiten, die Toten, selbst die Pferde. Und in dieser einen Szene, in der der eine Mann der Guinness-Tochter so nahe kommt, und die Tochter dahinschmilzt wie Butter auf einer Straße im Death Valley, da sieht auch die Tochter aus wie aus Pappe. Und von der Geschichte selber fang ich gar nicht erst an. Wann haben die Menschen eigentlich aufgehört sich Mühe zu geben? Ich weiß es doch auch nicht.

18:40 Uhr. Haftbefehl gehört. Leben wieder in der Bahn.

19:20 Uhr. Hose angezogen, Bier aufgemacht, Haus verlassen. Auf geht’s zum Kulturkraftwerk …

Und dann kam Henrik Freischlader. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Und dazu ein andermal mehr.