Erstes Ankommen
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Geschrieben von Jonë Zhitia
All sorrows can be borne if you put them into a story or tell a story about them.
Isak Dinesen
Kopfsteinpflaster und Schiefernhäuser. Wunderschöne Fassaden und verzaubernde Gässchen. Nach Goslar zu kommen ist wie eine Filmkulisse zu betreten oder in ein Kinderbuch zu stolpern, das eine Idylle verspricht, von der wir wissen, dass es sie nicht geben kann. Oder – und so scheint es mir immer mehr – bin das nur ich? Die nicht mehr an Idyllen glaubt. Die Happy Ends und Kleinstadt-Träumereien eine Absage erteilt. Und ich muss zugeben, vielleicht liegt es auch an mir, dass ich diese Dinge nicht mehr sehen kann, selbst wenn sie vor mir stehen.
Mit diesen Ängsten kam ich nach Goslar. Ich dachte, ich und meine Geschichten wären zu Dunkel für dieses Städtchen und seine Einwohner:innen. Ich dachte: Wieso hat man mich für dieses Stipendium eigentlich ausgewählt? Natürlich, der Kirchenbezug. Ich mache keinen Hehl daraus, meine Faszination für Theologie, die christliche, die muslimische, die jüdische. Ich liebe die alten Texte, ihre Mystik und ihre Versprechen.
Herr, Vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir, vergeben unseren Schuldigern.
So beteten wir jeden Tag, zum Kreuz gedreht, in einer staatlichen Schule. Von dem Laizismus, der in Deutschland angepriesen wird, bekommt man in der katholischen, bayerischen Kleinstadt, in der ich aufwuchs, wenig mit.
Vor mir war hier Armin Wühle, auch aus Bayern, auch aus der Kleinstadt und mit ähnlichen Ängsten. Es ist bedrückend wie sehr uns unsere Vergangenheit dazu bringt uns vor der Zukunft zu verschließen. Die Vorbehalte, die ich gegenüber Goslar hatte, hatten andere zu verantworten. Menschen, die nichts mit dieser Stadt zu tun hatten.
Wir sind gebrannte Kinder, sagte ein Guter Freund zu mir. Und es ist wahr. Von unseren Elternhäusern, von unseren Schulen, von den Menschen, die uns begegneten, lernten wir das Ausmaß menschlicher Grausamkeit und unsere eigene Fähigkeit Schmerz zu überleben und zu erleiden. Sehen Sie, liebe Lesende, ich war ein sehr trauriges Kind.
In Goslar begegnete ich den Hortensien und Hortensern. Die meinen Ängsten lauschten, versuchten sie mir zu nehmen ohne sie klein zu reden. Die mir immer wieder Angebote machten, zum Wein und zum Abendessen, und bei all ihrer Gastfreundschaft trotzdem bemüht waren, mir nicht zu nahe zu treten. Mir Raum zu lassen. Und als ich mit Sabine Fontheim und meiner Mutter vor der Kirche stand, nach einem wunderschönen Abend, den man zur Übergabe des Stipendiums organisiert hatte, dachte ich: Vielleicht…vielleicht ist es an der Zeit meine Ängste aufzugeben und einen Schritt aus der Vergangenheit heraus in die Zukunft zu setzen.
Meine ersten Wochen hier: Holprig. Jeder Tag erstreckt sich vor mir und wartet das ich ihn fülle. Als Schriftstellerin sehnt man sich immer nach Zeit zum Schreiben, aber wenn es dann soweit ist, wird die leere Seite zu einem Schreckgespenst. Starrt dich an und verlangt und erwartet, dass du ihr alles von dir gibst. Und du sitzt davor und weißt nicht, wo du anfangen sollst.
Ein wenig sind meine Befürchtungen wahr geworden. Bei meiner ersten Lesung im Rahmen des Harzer Musikfestivals, stieß mein Text Dhikr, auf Verwunderung, ein wenig Unverständnis. Sehr düster hieß da. Aber auch diesmal waren die Hortensien zur Stelle: Du hast dich gezeigt. Und so bist du!, sagte Dorothee Prüssner zu mir. Es gäbe keinen Grund sich zu verstecken. Und Literatur solle ja auch herausfordern, meinte Jutta Schober dann.
Und sie haben Recht. Es gibt keinen Grund sich zu verstecken, eben weil, es tausende von ihnen gibt. Letzten Samstag, dem 30. September, fuhr ich mit ein paar Freund:innen zur Christopher Street Day Parade in Zwickau. Zwickau, eine Stadt, ungefähr so groß wie Goslar, könnte nicht unterschiedlicher sein. Wo Goslar vor schönen Gebäuden und blühender Natur nur so strotzt, begegnen einem in Zwickau dunkle Häuserwänder und abgebaute Industrie. Und obwohl wir 400 Menschen auf dieser Parade waren, wurden wir von etwa 150 Nazis begleitet. Ihre Parolen und ihre Schilder, die Sprüche auf ihren T-Shirts, die möchte ich Ihnen ersparen liebe Lesende, aber was auch immer Sie sich vorstellen, ich versichere Ihnen, es ist schlimmer gewesen.
Der Hass, der einem entgegenschlägt, nicht für das was man tut, sondern einfach, weil man existiert, weil man es wagt zu leben, ist für viele kaum vorstellbar. Den ganzen Tag wurden wir umkreist von Polizist:innen, deren Aufgabe es war Gewalt zu verhindern. Ein Hubschrauber flog den ganzen Tag über die Menschenmenge, um ein Auge auf die Nazis zu haben. Wir waren da, wir feierten und mussten beschützt werden, weil es so viele Menschen gab, die uns tot sehen wollten.
Aber eine Szene hat mir Mut gemacht. Aus dem obersten Stock eines Hauses, an dem die Parade vorbeizog, riefen uns zwei Männer Beleidigungen zu. Sie machten Videos und wilde Gesten. Und sie schrien. Doch zwei Stockwerke darunter, im selben Haus, war da ein kleines Mädchen, die mit ihren Eltern am Fenster stand. Sie hatte eine Regenbogenfahne in der Hand und strahlte, als wir ihr zuwinkten. Wir applaudierten ihr und lächelten sie an, als ob die Männer, so knapp über ihr, gar nicht existierten. Und ich dachte in diesem Moment: Für dich tun wir das.
Und darum, liebes Goslar, möchte ich mich zeigen. Weil es so viele Gründe gibt, es nicht zu tun. Und deswegen eben keinen einzigen.
Ich freue mich Sie kennen zu lernen,
Jonë Zhitia