Gottesdienst – Texte zu Vergebung

Am 27. Oktober 2024 durfte ich gemeinsam mit Sabine Fontheim, Sabine Riekhoff und Gabriele Radeck-Jördens einen Gottesdienst zum Thema Vergebung & Versprechen ausrichten. Für den Teil, der traditionell mit der Predigt ausfüllt, schrieb ich zwei Texte. Beiden ging eine persönliche Geschichte voraus. Einmal ging es um die Aussöhnung mit einem Verstorbenen durch Gott und einmal um die Botschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder zur Versöhnung: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Mit Texten aus dem Koran, der Bibel, dem Sufi-Dichter Rumi und vor allem Hannah Arendts Texte aus Vita Activa versuchte ich, dem Thema gerecht zu werden.

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Geschrieben von Jonë Zhitia

1. Vergebung

Verzeihung ist die Möglichkeit, nicht nur den, der uns verletzt hat, zu befreien, sondern auch uns selbst. Es ist persönlich, wenn wir jemandem Verzeihen. Jedoch ist die Natur der Vergebung an sich es nicht. Sie ist umfangreicher und bezieht uns alle mit ein.

Wenn wir vergeben, vergeben wir nicht die Tat selbst, nicht das Leid, das uns zugefügt wurde, nein, wir vergeben unserem Schuldiger. Denn Vergebung kann sich nie auf die Sache selbst beziehen, sondern nur auf die Person. Wenn uns also ein Unrecht angetan wird, können wir dem, der es uns antat, vergeben, ja, aber damit rechtfertigen wir oder erklären wir es keinesfalls, es bleibt ein Unrecht. Es ist genau diese Anerkennung, die es uns ermöglicht, ihrem Täter oder ihrer Täterin zu vergeben.  Einer der 99 Namen Gottes im Islam ist Al-Ghaffar, zu Deutsch „Der Vergebende“.

Es ist eine wunderschöne, aber auch schmerzliche Wahrheit, dass Gott uns allen innewohnt. Wunderschön deshalb, weil wir Gott so ständig begegnen. Aber schmerzlich, weil es bedeutet, dass wir uns immer auch von Gott abwenden, wenn wir uns von einem unserer Mitmenschen abwenden.

Der Dichter Rumi schrieb: „Die Rache, die du suchst, wird nur dein eigenes Herz verbrennen“.  Rache wird uns nicht befreien. Sie hält uns fern von Gott. Denn Vergebung ist nicht nur eine ethische Handlung, sie ist ein zentraler Teil der Seele eines gottliebenden Menschen. Wenn wir also Gott darum bitten, uns zu vergeben, dann müssen wir unsere Pflicht Gott gegenüber auch erfüllen und die Arbeit tun, die es erfordert, selbst zu vergeben. Und wenn wir es nicht tun, zu verstehen, dass wir uns von Gott abwenden.

 

 

 

2. Versprechen

Ein Teil dieser Welt ist das radikal Böse. Das radikal Böse erkennen wir daran, dass es unmöglich ist zu verzeihen oder zu bestrafen. Es entzieht sich der Menschlichkeit und dort, wo es auftritt, hinterlässt es Einöde. Böse Taten sind Un-Taten. So abscheulich, dass man ihren Tätern, um es mit Jesus Worten zu sagen: „einen Mühlstein um den Hals hänge und ihn ins Meer werfe“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dachten so viele über die Deutschen. So gewaltig war das Ausmaß der Verbrechen, die die Deutschen begangen hatten. Ja, Verbrechen, so schrecklich, dass man fand, ihre Täter wären besser nie geboren worden.

Trotzdem stand die Überlebende des Holocaust, Margot Friedländer, Jahre später einer deutschen Schulklasse gegenüber und sagte: „Wir sind alle Menschen“.

Damit vergibt sie die Schuld nicht, denn das ist außerhalb ihrer Fähigkeit, aber sie schenkt etwas anderes: eine Zukunft.

Wenn sie sagt: „Wir sind alle Menschen“ beschwört sie die Verantwortung herauf, die wir füreinander – und uns selbst – haben. Die Verantwortung, uns unserer Vergangenheit zu stellen und alles dafür zu tun, dass ihre Fehler sich niemals wiederholen. Sie beschwört herauf das Versprechen, das die Deutschen gaben: „Nie Wieder“.

Damit wir aufeinander vertrauen können, ist es, gerade weil die Welt so ungewiss, so unvorhersehbar ist, notwendig, dass wir unsere Versprechen halten. Im deutschen Kontext heißt das: Verantwortung zu tragen. Sich von der frevelhaften Idee „Wir sind nur für uns selbst verantwortlich“ zu lösen und unsere gottgegebene Pflicht zu erfüllen, Menschenleben zu schützen.

„Wir vergeben und bitten um Vergebung“, was ein unermessliches Geschenk uns die Opfer machten. Eines, dem es gilt, sich würdig zu machen. Es ist unmöglich, die Gewalt wieder gut oder gar ungeschehen zu machen. Unmöglich, unser schreckliches Erbe zu veräußern. Aber dennoch wurden wir gesegnet mit der Chance eine Zukunft zu gestalten, in der wir unsere Fehler nicht wiederholen. Jesus von Nazareth selbst verglich die Kraft, zu verzeihen, damit ein Wunder zu vollbringen. Er stellte sie auf dieselbe Stufe. Ein Neuanfang, ein Wunder, das den Lauf der Welt immer wieder unterbricht und uns vor dem Verderben rettet. Jesus größtes Wunder war es nicht, die Kranken zu heilen oder Wasser zu Wein zu verwandeln. Es war zu sterben, für die Sünden der Menschheit und im Moment seines größten Leids zu Gott zu sprechen und zu sagen: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Er starb für die Sünden und stand von den Toten wieder auf. Ein Neuanfang. Ein Neuanfang, nicht für die Sünden des Einzelnen, sondern für die Menschheit als Ganzes.