Im Exil

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Geschrieben von Hank Zerbolesch

15.10.2025

Da steh ich jetzt. Sitze. Draußen ist es neblig und nass und dunkel. Auf dem Dach des Balkons hört man die Krallen der Tauben. Dahinter: Feierabendverkehrsrauschen. Vor mir ein Laptop, neben mir eine Flasche Jack Daniels. Das eine gekauft, das andere ein Geschenk. Und wie das so ist mit Geschenken: manchmal kommen die genau richtig. So wie das Pech immer auf den größten Haufen scheißt. Und wenn ich mir die beiden so ansehe, das Pech und den Jack Daniels, dann denke ich, hebt das eine das andere auf. Aber worum geht’s hier überhaupt? Drehen wir das Rad der Zeit ein kleines bisschen zurück.

Am Wochenende hatte ich Besuch. Er war mit mir bei der Kaiserringverleihung, ist mit mir zum höchsten Restaurant in Goslar aufgestiegen und war ganz allgemein angetan von der Stadt, meiner Unterkunft, und der einen oder anderen lokalen Gegebenheit. Und ein bisschen hab ich mich gefühlt, wie einer der unzähligen Goslarer Stadtführer, denn das hat wirklich Spaß gemacht! Hier die Kirche: 800 Jahre. Hier das Haus: 600 Jahre. Er hier: Ritter Soundso, und hier die beste Kneipe der Stadt, die wildesten Storys hörst du da, und so weiter und so weiter. Und als ich durch war mit meiner Goslarer Lobhudelei, da verstand ich ein bisschen mehr, warum jeder dritte hier Stadtführungen anbietet: weil das Spaß macht!

Jetzt ist aber der Besuch an sich eher flüchtig, sprich der geht irgendwann wieder. Aber so flüchtig wie der Besuch ist, so unbeständig ist die Bahn. Das weiß ich, weil mein Besuch, der startete am Tag seiner Ankunft um 13 Uhr am Düsseldorfer Hauptbahnhof und erreichte um 20:15 Uhr Goslar – nachdem ich ihn um 19:00 Uhr am Hauptbahnhof in Hannover abholen musste. So nämlich. Darum fuhr ich meinen Besuch selbst zurück nach Hause – mit dem Auto. Schließlich bin ich ein guter Gastgeber: mein Bett, mein Kühlschrank, mein Auto – fahren wir los.

Auf dem Rückweg dann hielt und schlief ich in Wuppertal. Ich fischte eine Stipendiumsabsage für den Marburger Stadtschreiber aus dem Briefkasten (auch wenn man sich bei jeder Stipendiumsbewerbung auf’s Neue sagt: „Is mir egal ob ich das kriege oder nicht“, wenn dann die Absage kommt, is das trotzdem immer wie ne Watschn), lüftete die Wohnung und füllte meine Bierreserven für Goslar auf. Aber als ich dann wieder ins Auto stieg, um zurück nach Goslar zu fahren, stellte der Wagen seinen Dienst ein. Irgendwas mit Kühler oder Wasser oder Kühlerwasser, vielleicht auch Wasserpumpe, keine Ahnung, ich bin Schriftsteller und kein Automechaniker, Mechatroniker, Kfz-Elektriker, was weiß denn ich, auf jeden Fall ist die Karre nicht mehr fahrbar. Aber kein Problem, ich kenn das, mein Auto ist alt, 34 Jahre, ich hab meinen Automann auf der Kurzwahltaste. Da drückte ich drauf, und kurz darauf entspann sich folgender Dialog.
Er: „Was.“
Ich: „Mein Auto is heiß.“
Er: „Temperatur?“
Ich: „Fieber.“
Er: „Lebensbedrohlich?“
Ich: „Was weiß ich, du bist der Arzt!“
Er: „Im Zweifelsfall immer ja.“
Ich: „Was, ja?“
Er: „Lebensbedrohlich.“

Ich: „Für mein Konto?“
Er: „Auch.“
Ich: „Und jetzt?“
Er: „Bring dein Ford Capri in die Notaufnahme.“
Ich: „Ist ein Mondeo.“
Er: „Kein Grund langsamer zu werden.“
Ich: „Hä?“
Er: „Ja.“
Ich: „Gut.“
Er: klick
Ich sah auf mein Handy. Schüttelte den Kopf. Steckte das Telefon ein und mir eine Zigarette an. Dann brachte ich den Wagen in die Notaufnahme, fischte die Flasche Jack Daniels aus dem Kofferraum und fing an, den Tag leer laufen zu lassen.

Und jetzt steh ich hier. Sitze. Vor mir ein Laptop, neben mir eine Flasche Jack Daniels. Ich bin ein Gefangener zwischen den Welten, ein Stadtschreiber im Exil. Darum kommt es jetzt auf euch an. Haltet mich auf dem Laufenden. Nutzt die Kontaktfunktion des Blogs (auf der Startseite hier ist oben rechts ein Button: „Was ich der Wortwerkerin schon immer sagen wollte“. [Ich weiß, ich bin keine WortwerkerIN, aber ich seh das nicht so eng.]) und erzählt mir, was so los ist in Goslar. Für mich ist das elementar, ich muss das wissen. Denn was ist ein Stadtschreiber ohne die Stadt, über die er schreibt? Richtig: bloß ein Trinker ohne Funktion.