So klingt der Winter

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Geschrieben von Hank Zerbolesch

10.10.2025

Für mich ist alles Winter, was nicht Sommer ist. Und jedes Jahr ist es das Gleiche: Je später der Tag beginnt und je früher er endet, desto schlechter wird die Laune, desto dunkler die Seele. Manchmal bringt das etwas gutes hervor (RAW zum Beispiel ist ein Winterbuch. Wenn ihr wissen wollt, wie sich Winter für mich anfühlt, lest dieses Buch), aber in den meisten Fällen hilft nur aussitzen. Und immer beginnt es mit einem Kratzen im Hals – so wie jetzt.

Goslar ist ne schöne Stadt. Und mit Stadt mein ich nicht nur die Altstadt, sondern auch alles drumherum. Aber im Winter, da sind halt alle Katzen grau. Da wird selbst die schönste Stadt zur Kulisse meines ganz persönlichen HR Giger-Settings. Aber liegenbleiben ist ja auch keine Option. Zum einen, weil das hier kein Schlafstipendium ist, und zum anderen, weil du vom Rumliegen bloß Rückenschmerzen kriegst. (Das weiß ich, ich hab das durchgespielt.) Außerdem ist Rumliegen jetzt nicht gerade meine Kernkompetenz, ich mache Dinge. Und wenn’s dann dunkel wird – drinnen wie draußen –, sind die Dinge, die da abfallen, eben auch dunkel. Aber die Zeit dazwischen. Die zwischen ‚Der Winter kommt‘ und ‚Scheiß drauf, ich mach einfach weiter‘, die ist jedes Mal neu steinig. Jedes Jahr kommt der Punkt, an dem ich meine kurze Hose nach hinten in den Schrank lege und die Winterjacke schonmal angucke. Jedes Jahr kommt der Punkt, an dem es sich nicht mehr aufschieben lässt, neue Vitamin D3/K2-Supplements zu kaufen. An dem man merkt: ‚Okay, das war’s jetzt, Sommer ist vorbei. Zieh dich warm an, geht los.‘ Aber so ist das Leben. Mal lacht es dich an, und dann wieder neun Monate aus. Und wie schon der große Philosoph Rocky Balboa sagte: „Du und ich, und auch sonst keiner, kann so hart zuschlagen wie das Leben. Aber der Punkt ist nicht der, wie hart einer zuschlagen kann. Es zählt bloß, wie viele Schläge er einstecken kann, und ob er trotzdem weitermacht. Wieviel man einstecken kann, und trotzdem weitermacht.“ Recht hat er.

Was hilft, um dem Ganzen hier mal einen weniger suizidalen Drive zu geben, ist Kunst. Bücher, Musik, Gemälde, diese Dinge. Und ich kann nicht sagen, wo genau ich da die Trennlinie ziehe, aber es gibt Kunst, die ist wie gemacht für den Winter. Musik, zum Beispiel. Es gibt Alben, die begleiten mich durch die dunkle Jahreszeit hindurch. Die laufen neben mir her, die Kapuze ins Gesicht gezogen, die Kippe glimmend vorne raus, und ab und zu sehen die zu mir rüber, zucken mit den Schultern und sagen: „Wird schon.“ Diese Alben geben mir das Gefühl, nicht alleine zu sein mit dem ganzen Winterscheiß. Mit der Schwere. Der Schwärze. Und der Dunkelheit. Vegas’ „WSSNMB“ ist so ein Album. Oder „Schneller, Höher, Weidner“ von Der W. „Das weiße Album“ von Haftbefehl. „Geteiltes Leid 3“ von Moses Pelham. Die können das. Einfach da sein. Mitgehen. Mitfühlen. Warum das alles Frankfurter sind? Gute Frage. Meine Theorie: Die haben da was im Wasser, das empfänglich macht für die dunkle Seite. Irgendwas, das zwar emphatisch macht dem nachzufühlen, dass dich aber davor bewahrt, nicht davon aufgefressen zu werden. Und weil man die guten Dinge teilen soll, hier für euch eine kleine Auswahl meiner Wintertracks zum Nachfühlen:

- „Pass gut auf dich auf“ – Der W.
- „Lass die Affen aus dem Zoo“ – Haftbefehl
- „Warum sie Stürme nach Menschen benennen“ – Vega
- „Für die Ewigkeit“ – Moses Pelham
- „Nichts ist für die Ewigkeit“ – Böhse Onkelz

Auf dass diese Lieder euch ein Richtstern sind, so wie sie es mir sind.