Wer Zukunft will, muss die Vergangenheit ertragen

Der sechste November war einer der schlimmsten Tage seit langem. Es begann mit der Wahl von Donald J. Trump und endete mit dem Zusammenbruch der deutschen Regierung. Aber auch über den Tag hinweg erreichten uns erschreckende Nachrichten. So nahmen deutsche Beamte acht mutmaßliche Rechtsterroristen der Gruppe „Sächsische Separatisten“ fest – unter denen auch AfD-Politiker waren.

 

 

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Geschrieben von Jonë Zhitia

Wer in Sachsen lebt, weiß um die Zustände des Bundeslandes. Weiß von den Dörfern, in denen Gruppen wie die Sächsischen Separatisten Menschen an der Waffe ausbilden. Weiß davon, wie man sich für einen „Tag X“ vorbereitet. Deutschland ist voll von gewaltbereiten Rechtsextremist:innen, die nur auf den richtigen Moment warten, um zuzuschlagen.

Die Sächsischen Separatisten hatten relativ genaue Vorstellungen vom „Tag X“. Arische Soldaten sollen die Straßen übernehmen und wer den „verhassten demokratischen Staat“ vertritt oder nicht deutsch ist, wird ermordet. Die Sächsischen Separatisten, die sich selbst auch Sachsen-SS nennen, haben ein Ziel: Die Herrschaft der „Weißen Rasse“.

Der Grund, warum deutsche Beamte zur Wahl von Donald Trump eingriffen, ist einfach: Ähnlich wie es in den USA bei der Wahl von Trump zu erhöhten Angriffen auf migrantisierte oder nicht weiße Menschen kam, befürchtete man auch in Deutschland, dass die Wahl des Faschisten zum Präsidenten hier Gleichgesinnte befeuern würde.

Rechter Terror ist seit der Gründung der BRD eins ihrer größten Probleme. Die ersten rechten Terrorzellen mit hochbewaffneten Rechtsextremisten wurden Anfang der 50er Jahre hochgenommen. Ein Problem, das nicht verschwand. Am deutlichsten wurde das Problem bzw. die Unfähigkeit der deutschen Regierung mit rechtem Terror umzugehen 1993. Nach den rechtsextrem motivierten Brandanschlägen in Mölln und Solingen und den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen höhlten SPD, CDU und FDP das Asylrecht aus und beschlossen die heute berüchtigte „Drittstaaten-Regelung“. Was es nicht gab, war ein stärkeres Vorgehen gegen rechten Terror, was es nicht gab, waren erhöhte Ausgaben für Bildungsprogramme, die Demokratie-Stärkung ins Visier nahmen. Was es nicht gab, war eine klare Positionierung gegen den rechten Terror, der reale politische Konsequenzen hatte.

So dürfte uns rückblickend eigentlich wenig wundern, dass die Terrorgruppe, der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund, über ein Jahrzehnt in Deutschland morden konnte. Der NSU ermordete zehn Menschen und war wahrscheinlich Teil eines größeren Netzwerks, das bis heute durch das gut dokumentierte Versagen der deutschen Polizei nicht aufgelöst wurde. Neben Morden und Bombenanschlägen vermutete man auch einen Waffen- und Kinderpornografie-Ring. Zum Versagen der Behörden möchte ich nur einen Kommentar machen: Man glaubte den zahlreichen Zeugen kein Wort aber befragte stattdessen einen Wahrsager. Als ich das das erste Mal las, dachte ich, es wäre Satire. Aber tatsächlich: Während die Zeugenaussagen, die wichtige Informationen zu den Täter_innen hatten ignoriert wurden, beauftragte man einen Mann, der behauptete, mit Geistern kommunizieren zu können.

Aber warum jetzt von den 90ern und dem NSU sprechen? Weil wir verstehen müssen, wie wir im Jetzt angekommen sind. Weil wir aufhören müssen, so zu tun, als wäre das Erstarken der AfD ausschließlich die Konsequenz der Ströme von Geflüchteten, die seit 2016 in Deutschland ankommen. Faschismus ist in die DNA der BRD eingeschrieben. In der Schule lernten wir, man habe die Nationalsozialisten, nachdem die Deutschen besiegt wurden, einstellen müssen: Es hätte ja nur Nazis gegeben. Ob das stimmt oder nicht,

möchte ich hier nicht weiter debattieren. Fakt ist aber: Nazis haben die BRD in großen Teilen aufgebaut. Während Konrad Adenauer selbst zwar während der NS-Zeit verfolgt wurde, galt das nicht für viele seiner Minister oder Angestellten.
Da war zum Beispiel Hans Globke, der als Jurist während der NS-Zeit agierte und als Chef des Kanzleramts bis 1963 unter Adenauer tätig war. Globke hat juristisch entscheidende Fragen während der NS-Zeit beantwortet. Wer zur „NS-Volksgemeinschaft“ gehören dürfe und wer ausgeschlossen werden musste. Der Münchner Historiker Gunnar Take sagt: „Ohne Funktionsträger wie Globke hätten die nationalsozialistischen Völkermorde in dieser Form nicht stattfinden können“. Globke ist ein Beispiel von etlichen. Es waren Alt-Nazis, die das deutsche Schulsystem wieder aufbauten. Alt-Nazis, die in hohen Regierungspositionen saßen. Etliche Juristen, die später zu Richter wurden: Begeisterte Anhänger des Nationalsozialismus, die sich als „reformiert“ betrachteten. Wir haben heute noch Gesetze, die die Nationalsozialisten beschlossen haben. Paragraph 219a zum Beispiel.

 


Es hätte die Aufgabe von der Deutschen Regierung und der deutschen Bevölkerung sein müssen, sich diesem Erbe und auch der sich daraus ergebenden Gefahren bewusst zu sein.

Nicht sich Jahre später hinsetzen, wie Phillip Amthor, geschichtsrevisionistisch über die Befreiung Auschwitzs als eine Befreiung von Deutschland sprechen. Nicht wie Merz sich an Rechtsextreme anbiedern, nicht wie Nancy Faeser erst mit Sippenhaft liebäugeln und dann mit Terroristen verhandeln. (Natürlich hat die deutsche Regierung nicht mit den Taliban selbst, sondern nur mit Vertretern der Taliban verhandelt. Liebe Lesende, die Entschuldigungen der Regierung lesen sich wie die Entschuldigungen von Teenagern, die sich für ihr Quatschen im Unterricht rausreden wollen.)

Anfang dieses Jahres waren die größten Demonstrationen seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Über hunderttausend Menschen waren auf den Straßen, als Reaktion auf das rechtsextreme Treffen in Potsdam, bei dem der sogenannte „Remigrations“-Plan besprochen wurde. Diese Demonstrationen zogen keinerlei politische Konsequenzen mit sich. Obwohl sich Politiker_innen des ganzen Spektrums auf der Straße ablichten ließen, forderte niemand reale Maßnahmen gegen die Bedrohung von Demokratiefeinden und rechten Terror. Für die wahrscheinlichen Neuwahlen im März bedeutet das, dass es im Moment keine Partei gibt, die wirklich gegen Faschismus in Deutschland vorgehen möchte.

Meine ersten Wochen in Goslar schienen mir unwirklich. Während wir uns in Leipzig um bewaffnete Neonazis Sorgen machten und mit unseren nicht-weißen Freund_innen darüber sprachen, wo man sich frei bewegen konnte und wo man lieber nicht hinsollte, war Goslar in einer hitzigen Diskussion über den Bau der berüchtigten Stadthalle gefangen. Während so gut wie jede Person, die ich hier traf, eine Meinung zur Stadthalle zu haben schien, äußerten sich deutlich weniger zu den realen Gefahren in Deutschland. Was man machen könnte. Wie man sich dagegen setzten könnte. In einem meiner Spaziergänge durch die Stadt kommt man immer wieder an ihnen vorbei: Menschenfeindliches Graffiti, Sticker der NPD oder Gruppen, die sich selbst als nationalsozialistisch bezeichnen.

Am Freitagabend stehe ich mit einem Freund, Sebastian, der mich gerade besucht, im Gemeindegebäude und lausche der Musik auf der anderen Seite der Hintertür. Ein Lied über arische Soldaten dröhnt aus den Lautsprechern. Wir schauen einander ängstlich an. Ich frage mich, ob es Zufall ist, dass er hier steht oder ob er meinen Namen an der Hauswand gesehen hat. Ob er einen Artikel über mich in der Zeitung gelesen hat. Sebastian fragt mich, ob ich lieber drinnen bleiben will. Wir müssen nicht rausgehen. Ich schüttle den Kopf. aber wir nehmen die Vordertür. Ich nehme lieber den Umweg in Kauf, als eine direkte Interaktion mit dem Mann. Als wir zurückkommen, ist er verschwunden. Aber ich rauche nachts trotzdem keine Zigarette mehr. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, abends alleine am Hinterausgang zu stehen und zu rauchen.

Man hat mich hier vor vielem gewarnt. Vor „migrantischen“ Jugendlichen, vor Alkoholikern, aber niemand hat mich vor den Rechten gewarnt. Vielleicht erkennt man diese Gefahr nicht, wenn sie nicht direkt an einen selbst gerichtet ist. Oder vielleicht scheinen Rechte nicht so real wie andere Bedrohungen. Aber sie sind hier. Und sie sind Gegner der Freiheit und ihre größte Gefahr.