Harzer Klosterwanderweg, die Erste
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Geschrieben von Marie-Luise Eberhardt
Naturliebe und Wandern wurden mir quasi in die Wiege gelegt. Mit meinen Eltern, meiner Schwester und unserem Hund Charly habe ich so viele Spaziergänge und Wanderungen unternommen: In und um Weimar, in Kärnten, Thüringen generell, Hiddensee oder auf anderen Urlaubsreisen. Als Kind, vor allem ab der Schulzeit, hatten es meine Eltern allerdings schwer mich zum Wandern zu motivieren. Draußensein war nicht so meins. Ich verkrümelte mich lieber in mein Zimmer: lesen, spielen oder Hörspiele hören. Ich weiß noch genau, wie ich einmal in Kärnten nach einer Wanderung eine selbstgebastelte Medaille mit Bonbonkette bekam. Sie sollte mir ein Anreiz sein, denn es ging eine lange Straße zum Dobratsch hoch und bei jeder Kurve hoffte ich darauf, die Spitze zu sehen und endlich anzukommen.
Seit ich kein Teenie mehr bin, ist bei mir ein ganz anderes Verhältnis zur Natur und zum Draußensein entstanden. Regelmäßig brauche ich das Grün - allein schon zum Kopflüften. Allerdings sind Wanderungen leider selten geworden und ich komme nicht genug aus dem Ruhrpott heraus. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass Goslar am Rand des Harzes liegt. Im Harz war ich dank meiner Schwester, die viele Jahre jeden Mai eine Harzwanderung organisiert hatte, schon öfters unterwegs – allerdings mehr im östlichen Teil. Als ich vom Klosterwanderweg las, hat es mich natürlich gleich gepackt, denn noch nie bin ich einen Pilgerweg gegangen. Und wenn ich schon in einem ehemaligen Kloster leben sollte, wo direkt vor der Tür dieser Weg beginnt – gibt’s keine Fragen mehr!
Los geht’s!
An meinem fünften Tag in Goslar laufe ich los, aber erst nachdem ich mir bei der Neuwerkkirche meinen Stempel geholt und eine Kerze entzündet habe. Ja, das ist eine Art Ritual von mir. Nicht nur in Goslar.
Ich verlasse hinter dem Bahnhof die Altstadt, laufe zum ersten Mal an der Stiftsruine St. Georg vorbei und befinde mich wenig später in einem kleinen Wäldchen. Mittlerweile begleitet mich eine Freundin am Telefon. Weiter geht es in den Straßen von Goslar Jürgenohl bergauf. Der Blick wird weit. Ich kann den Harz sehen, sogar den Brocken, steht in der Wegbeschreibung, also wird es wohl so sein. Endlich verlasse ich die Straßen, laufe einen Feldweg entlang Richtung Gut Grauhof. Ich setze mich auf eine Bank, beende das Telefonat. Versuche anzukommen in der Natur, die ersten Tage in Goslar im Gepäck. Es ist heißer als gedacht, die Sonne brutzelt und ich habe natürlich meinen Strohhut zu Hause gelassen.
Ich laufe zur Stiftskirche St. Georg, die leider geschlossen ist. Mich interessiert der riesige Bau und was sich dahinter verbirgt. Vielleicht erfahre ich es ein anderes Mal, obwohl mir später gesagt werden wird, sie sei so schrecklich Barock. Dafür erhalte ich meinen zweiten Stempel vom Kloster Grauhof.
Ein kleines Stück geht der Weg neben der Straße entlang, aber gleich biege ich ab und laufe einen langen Grasweg ohne Biegung. Eine Frau mit Hund und Pferd kommt mir entgegen. Sie ist ganz konzentriert und ich frage mich, ob ihr Hund mich wohl gleich anbellt oder ihr Pferd durchgehen wird? Aber alles bleibt ruhig.
Ich setze mich am Wegesrand ins Gras, strecke mich aus und schaue in den Himmel. „Herrlich diese Weite. Rausgelaufen aus der Stadt. Lüftchen weht, Holunderbeeren, rote Beeren, drei Fliegen sitzen auf meinem Bein, nein fünf. Herrliche Blumen in meiner Tasche...“, schreibe ich in mein Goslar-Buch.
Ich liebe diese Einfachheit. Sich erfreuen an Beeren und Bäumen, Grasbüscheln und fernem Blick. Natürlich kommen auch die Alltagsgedanken und Sorgen angelaufen, aber ihr Gang ist befreiter, lockerer und manchmal hüpfen sie ganz davon.Oder werden weggemäht.
Ja, ich stoße nämlich auch auf eine Horde Ziegen und sogar auf ein Alpaka unter ihnen. Was mich am Tierebeobachten beeindruckt? Vielleicht die Aufmerksamkeit der Ziegen, die ich mit frischem Gras füttere, ehe ich das Verbotsschild sehe und damit aufhöre. Oder auch, weil sie einfach machen: fressen, rumstehen, gucken, sich schupsen, liegen, hopsen. Und keine Ziege sagt zur anderen: Ey du musst jetzt aber mal wieder kreativ sein oder du hast aber `nen ganz schönen Bauch dran. Jedenfalls in meiner Vorstellung nicht, wer weiß schon, was sie sich in ihrer Sprache an den Kopf werfen. Diese Begegnung ist ein Höhepunkt des Weges, vor allem da ich auf diese Ziegenwiese nur gestoßen bin, weil ich vom Klosterwanderweg abgekommen bin. Das habe ich aber erst später mit Blick auf mein Handy gemerkt.
Zum Glück funktioniert mein Orientierungssinn gut und ich finde ihn schnell wieder, den Weg. So langsam werden meine Füße schwer und die Zeit schreitet auch voran. Ich streife Immenrode und gelange über einen Feldweg in den Wald. Vorher sitze ich noch auf einer Bank und betrachte die Gegend. Ich war nie die schnelle Wandrerin. Am liebsten mag ich die Pausen, das Sitzen in der Natur, Schreiben oder Fotografieren. Aber Waldwege in der Abendsonne sind auf jeden Fall auch eine schöne Abwechslung. Richtiger Mischwald, ohne tote Bäume. Ich gehe weiter aus dem Wald hinaus und kreuze die ersten Obstbäume. Ah Kindheitserinnerungen springen mich an: wir haben immer Früchte gesammelt, aus Äpfeln z.B. auch Saft machen lassen und ich verstehe Menschen einfach nicht, die nicht einmal die Früchte in ihrem Garten pflücken.
Zurück im August 2022: was für ein Obstjahr. Äpfel, Birnen, Pflaumen, Mirabellen, was ich mich freue. Ich werd fast nicht mehr. Dieser lange Obstweg, ein richtiges Paradies! Nur leider sind sie noch nicht alle reif und ich habe nur einen Beutel mit.
Ich entziehe mich den Früchten und durchschreite das Tor des Klosters Wöltingerode. Die Anlage ist so riesig, dass ich das Kloster gar nicht finde, dafür aber den Klosterkrug. Mittlerweile habe ich mächtig Kohldampf, witziges Wort übrigens, und freue mich sehr, dass das Restaurant noch auf hat. Der letzte Bus ist nämlich schon gefahren und ich weiß, dass ich nochmal zwei Kilometer nach Vienenburg zum Bahnhof laufen muss. Die Klosteranlage gucke ich mir dann einfach beim nächsten Mal an, wenn ich die zweite Etappe in Wöltingerode beginne. „Ich freue mich so dieses Wanderabenteuer begonnen zu haben.“