Harzer Klosterwanderweg, die Zweite

Es sind ein paar Wochen vergangen, aber mein Vorhaben den Klosterwanderweg zu gehen, ist geblieben. Ich mache mich am 22. September auf zum Kloster Wöltingerode, wo meine erste Etappe endete. Eigentlich hält dort ein Bus, aber durch eine große Baustelle, entfällt die Haltestelle, wie ich von einer netten Frau am Bahnhof in Vienenburg erfahre.

Geschätzte Lesezeit: 14 Min

Geschrieben von Marie-Luise Eberhardt

So gehe ich spontan zu Fuß, aber diesmal nicht an der Straße, sondern im Grünen. Meinem Orientierungssinn sei Dank „bin ich an einem wunderschönen See langgelaufen, habe dort in der Sonne gefrühstückt und mir dann in Ruhe das Kloster angesehen.“, schreibe ich in mein Goslarbüchlein. Nach meiner ersten Tour bin ich im Halbdunkeln an der Straße zum Bahnhof nach Vienenburg gelaufen und habe von dem See gar nichts mitbekommen. Die Klosteranlage in Wöltingerode samt Kirche, Hofladen, Entdeckungspfad und malerischer Kulisse kann ich nun auch ohne Zeitdruck genießen. Ich gönne mir noch einen Cappuccino samt Mohnschnecke und laufe wieder aus dem Tor hinaus: mein Ziel der Bahnhof in Stapelburg. Eigentlich würde die ganze Etappe bis nach Ilsenburg gehen, aber da ich vormittags noch einen Termin hatte, war mir schon vorher klar, dass ich die mehr als 20 Kilometer von Wöltingerode bis Ilsenburg nicht schaffen werde.

Eine gute Entscheidung, denn es gibt wieder so Einiges zu entdecken. Zuerst nehme ich mir noch ein paar Äpfel, von den Bäumen am Wegesrand, als Wegproviant mit. Vollgepackt durchwandere ich Wald, Wiese und Wiedelah. Noch vor dem Ort verläuft der Weg an einem kleinen Flüsschen, der Oker. Ein guter Zeitpunkt für eine Pause!

„Rauschen, Plätschern, verschiedene Klänge, entspannend. Frisches Grün, nur viele Laubbäume sind halbtot. Die Dürre. Die Sonne spiegelt sich im Wasser. Herrlich. Plätschern, blubb. Krähen krächzen, Vogelpfeifen. Freiheit. Im Wasser wachsen rosa Wasserpflanzen. Wie sie wohl heißt diese Pflanze?

Der Herbst steht auf der Leiter, noch unten, aber bald malt er die Blätter an.“

Ich sitze eine Weile an diesem Flüsschen, versuche den Alltag, Termine und Organisation hinter mir zu lassen und vor allem das Handy. Die Nachrichten und Gedanken, so recht gelingt es mir noch nicht. Wie viele Fotos möchte ich machen? Einfach nur sein und nichts festhalten oder alles dokumentieren? Wenn ich an diese zweite Kloster-Wanderung zurück denke, erinnere ich mich jedenfalls an diesen Platz am Wasser, an Straßenlärm, denn der Weg kreuzt hier so einige Schnellstraßen und sogar die Autobahn, aber vor allem an das grüne Band, der Wanderweg entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze.

Das Grüne Band

Marie-Luise Eberhardt
Marie-Luise Eberhardt

Für mich, die noch in der DDR geboren, in Ostdeutschland aufgewachsen und nun seit einigen Jahren im tiefsten „Westen“ lebt, ist es etwas ganz Besonderes dort entlang zu gehen, wo früher ein Spaziergang lebensgefährlich gewesen wäre. Dort „wo früher geschossen wurde, wo meine Eltern nie hätten passieren dürfen.“ Ich betrachte die Info-Tafeln mit alten Fotografien, den DDR-Grenzstein und auch das große Hinweisschild, was auf die ehemalige innerdeutsche Grenze aufmerksam macht. „Besucher des Grenzgebietes sind großen Gefahren ausgesetzt, wenn sie aus Unkenntnis oder Leichtsinn den Grenzverlauf nicht beachten. (…) Wer die Grenze entgegen allen Warnungen überschreitet – wenn auch unabsichtlich oder ganz geringfügig – begibt sich in Gefahr.“, steht auf einer alten Bundesgrenzschutz-Papier. Es fühlt sich für mich hier auch so mulmig an irgendwie. Unvorstellbar. Hier hätte ich vor 34 Jahren nicht einfach langlaufen können. Hier gab es Wachtürme, Grenzsoldaten und Plattformen aus Holz für Touristen, die genutzt wurden, um in die DDR zu glotzen.

Der Klosterwanderweg bleibt auch weiterhin auf dem grünen Band. Es geht entlang an Feldern und über Wiesen. Dann setze ich mich mal wieder auf eine Bank. „Eine Bank! Meine Füße freuen sich so sehr. Noch 2,8 Kilometer bis zur Stapelburg. Ich komme doch gerade an meine Grenze. Aber das tut gut, die Gedanken verstummen mehr und mehr: der Körper braucht die Energie.“ Ich laufe durch herrlichen Wald im Nationalpark Harz entdecke ein Eichhörnchen und wieder Infotafeln und wieder einen Grenzstein, zudem informiert eine Tafel über die natürliche Waldentwicklung. So langsam werde ich unruhig und komme etwas ab vom Naturgenuss, denn der Zug in Stapelburg fährt nur alle zwei Stunden und ich muss mich etwas sputen. Die Kilometerangaben verwundern mich jedes Mal aufs Neue, denn sie ändern sich immer wieder nach oben. Endlich komme ich am Grenzinformationspunkt Stapelburg an. Sehe Fotos von der Öffnung der Grenze und eine Steinskulptur beziehungsweise einen Stein, auf welchen oben in Bronze die Grenze mit einer Öffnung abgebildet ist und zwei Menschen, die sich die Hand reichen.

Am Bahnhof

bin ich noch lange nicht und so muss ich die Idee verwerfen mir noch die Stapelburgruine anzuschauen. Ich laufe durch den Ort, entdecke wieder viele Apfelbäume, an einem Haus Wein, der mit einem Netz geschützt ist, einen Bücherschrank, in dem ich ein paar von meinen Novum Opus Flyern lege und dann erblicke ich sie: die Stapelburg, zu meiner Linken auf einem Berg liegend. Die rosa Abendstimmung taucht das alte Gemäuer in eine malerische Atmosphäre. Fast schon zu kitschig.

Ich bin nur noch einen kurzen Schreck vom Zug entfernt, denn es erscheint auf der kleinen Anzeige ein Spruch, der über Bauarbeiten und Schienenersatzverkehr informiert, davon ist im Internet aber nichts zu lesen. Zehn Minuten zu spät sitze ich dann aber doch im Zug gen Goslar, wo ich von Andreas abgeholt werde. Wir fahren zu Heidi, die unsere Butter- und Steinpilze, die wir am Vortag gesammelt hatten, köstlich zubereitet serviert. Was für ein gelungener Ausklang, nur so viel sei gesagt ein langer Abend wird es nicht, ich bin am Gähnen und herrlich geschafft von über zwanzig Kilometern Klosterwanderweg.

Zurück