Sigrid Böttcher - Waldwundern im Wunderwald

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Geschrieben von Admin

Sigrid Böttcher - Waldwundern im Wunderwald


Als ich kürzlich in Österreich in den Bergen unterwegs war, kletterte ich zu einem Höhenweg zwischen uralten Kiefern hinauf. Der Weg war schattig und kühl. Die Kronen der Kiefern schwankten leicht im Wind. Unter meine Füßen spürte ich die knorrigen Wurzeln der Kiefern beidseits des Pfades, die im Laufe der Jahre aufeinander zugewachsen waren, als ob sie über ihre Wurzelspitzen miteinander in Kontakt treten wollten. Zwischen den Baumwipfeln fielen Sonnenflecken ins Unterholz, die sich durch sanfte Bewegung der Bäume auf dem Waldboden versprenkelten. Überall um mich herum Moos überwachsene Baumstümpfe, die in ihrem saftigen Grün Licht ins Dunkel des Waldes reflektierten. Hier und da klare Wassertropfen, die sich ihren Weg in ein Bett von Kiefernadeln suchten. Es roch moderig frisch nach Tannennadeln und Kiefernwald. Kiefernzapfen knackten, als ich auf sie trat und manchmal leicht abrutschte. Meine Hände fanden Halt an rauen borkigen Baumstämmen oder im Geflecht der Wurzeln, die sich mit dem Waldboden verbunden hatten und kleine Stufen bildeten. Sie drückten in saftiges Moos, berührten nasse Steine und ließen Kiefernnadeln durch meine Finger gleiten. Es war unsagbar still. Nur weit oben in den Gipfeln der Bäume tanzte der Wind. Wenn ich die Augen schloss, hörte es sich an wie gleichmäßiges Meeresrauschen.

Alles kam mir so verwunschen vor. Ich erinnerte mich an ein Buch über Feen, Zwerge und Kobolde, in dem ich als junge Frau gerne geblättert habe. Zwischen den Seiten trat immer wieder aufs Neue ein Wald samt seiner „Bewohner“ hervor, der mit fein ziselierten Strichen bis ins kleinste Detail gezeichnet war. Plötzlich sah ich Libellenhafte Elfen herumschwirren, hörte Kobolde hinter Steinhaufen lachen und Zwerge hinter Ameisenhaufen verschwinden. Ich fühlte mich in eine Märchenwelt hineinversetzt, die mich träumen ließ.

Wieder zuhause, las ich einen Zeitungsartikel über Burnout. Eine Influenzerin berichtete, wie sie mit der Vermittlung von Inhalten zur Work-Life-Balance so erfolgreich wurde, dass sie sich damit selbständig machen konnte. Nachdem sie innerhalb kürzester Zeit bei einem 18stündigen Arbeitstag angekommen war, brannte sie vollständig aus. Sie gab ihre damalige Tätigkeit auf und befindet sich nun nach fast zwei Jahren Pause wieder in einer Erholungsphase. Geholfen habe ihr dabei eine Ausbildung zur Trainerin im Waldbaden.

Heute kann man sich Bücher kaufen, die einen vertraut machen mit Übungen zur Achtsamkeit, mit Meditation, Waldbaden, Ausführung von Ritualen und Naturerlebnisse empfehlen, die von sogenannten Schamanen oder weisen Frauen angeboten werden. Für jede Lebenslage lässt sich eine App herunterladen, die dir zeigt, ob und wie du richtig atmest, gehst oder läufst. Du erhältst angeleitete Meditationsübungen oder beruhigende Gesänge, die dich besser schlafen lassen sollen. Pulsuhren messen jeden deiner Schritte und geben dir Rückmeldung, ob der dazugehörige Herzschlag passt. Signale erinnern dich daran, eine Trinkpause einzulegen und tief durchzuatmen. Über die App erhältst du Fotos aus der Natur, die für Entspannung sorgen sollen. Selbst bei Spaziergängen begegnen mir Menschen mit Hund oder Kinderwagen, die im gehen
ständig aufs Handy schauen und wild darauf herumtippen. Wenn ich sie grüße, schauen sie verwirrt auf. Eine Frau ließ vor Schreck ihr Handy fallen.

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Einen Baum kann ich auch so umarmen. Meine Wanderschuhe anziehen und durch die Natur streifen, kann ich auch ohne Anleitung. Jederzeit kann ich aufs Rad steigen und durch die Landschaft rollen. Ich kann mit allen Sinnen wahrnehmen, ohne vorher eine Achtsamkeitsübung
durchlaufen zu haben.

Es ist ganz einfach, wenn ich mich auf den Weg mache und mich den Elementen der Natur hingebe.

Es gab einmal eine Zeit, da spielten Kinder auf Straßen, in Wald und Wiesen. Im Frühjahr schnitten sie im Garten den ersten Schnittlauch ab und ernteten Radieschen. Im Sommer pflückten sie ihren Müttern dicke Mohn- und Kornblumensträuße, die wild in den Getreidefeldern wuchsen. Im Herbst sammelten sie Eicheln und Kastanien, um daraus kleine Figuren zu basteln oder sie bei reicher Ernte beim Förster für die Wildfütterung abzugeben. Sie ließen auf Stoppelfeldern ihre Drachen steigen, kletterten auf hoch getürmte Strohballen und warfen sich mit weit ausgebreiteten Armen ins Stroh. Hoch über ihnen kreisten am blauen Himmel Milane. Irgendwo war immer das Lied einer Lerche zu hören. Unter sich ständig ändernden Wolkenformationen ließen sie sich von der Sonne bescheinen, während der Wind sie sanft streichelte. Im Winter rollten sie riesengroße Schneekugeln für einen Schneemann zusammen oder zogen mit ihren Schlitten auf verschneite Hügel.

Kinder bewegten sich über weite Strecken in der Natur. Wenn Ihnen auf ihren Ausflügen ein Auto begegnete, war dies eine ungewohnte Seltenheit. Sie bewegten sich per Rad oder zu Fuß und am Wochenende war es üblich, mit der ganzen Familie einen Ausflug ins Grüne zu machen.