Das mit dem Haus, dem Kind und dem Baum

Baue ein Haus, zeuge ein Kind, pflanze einen Baum. Das seien die Aufgaben eines Mannes, so der Volksmund. Das ist natürlich Quatsch, aber den Baum habe ich jetzt trotzdem: Er trägt die Nummer 7672, eine Wildbirne.

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Geschrieben von Armin Wühle

Es ist ein warmer Spätsommertag - meine Hände sind voller Erde. Mit einer Schaufel habe ich gerade ein Loch ausgehoben, den Setzling versenkt, den Boden fest angedrückt und mit Wasser übergossen. Das ganze hat keine zehn Minuten gedauert. Meine weißen Converse-Schuhe anzuziehen, war keine gute Idee.

Ich trete ein paar Schritte zurück, betrachte mein Werk. Die zierlichen Ästchen ragen kaum einen Meter in die Höhe. Wir befinden uns auf einem Hang oberhalb von Goslar, die Sonne neigt sich dem Horizont. Sofern meine Birne Wurzeln schlägt und gesund bleibt, wird sie die nächsten 150 bis 200 Jahre hier leben.

Selbstwirksamkeit schaffen, das ist eines der Ziele von Gertrude Endejan-Gremse und ihren Mitstreiter*innen. Mit "Wald für Morgen" haben sie ein Projekt geschaffen, das gleichermaßen aufklärt und Spaß macht - und dabei einen konkreten Beitrag zu Wiederaufforstung und Klimaschutz leistet. Insbesondere Schulklassen, aber auch erwachsene Gruppen erfahren hier, was der Klimawandel mit dem Waldsterben zu tun hat. Auf einer mehrere Hektar großen Fläche können sie ihren eigenen Baum pflanzen - und erhalten eine persönliche ID, mit der sie "ihren" Baum später online finden können.

Auf Furchtappelle, so Endejan-Gremse, reagieren die Menschen meist mit Abwehr. Geschickter sei es, sie ins eigene Tun zu führen - und dabei gleichzeitig ihre Selbstwirksamkeit zu erhöhen.

Mir leuchtet das Konzept sofort ein: Wer sieht, dass etwas Lebendiges durch die eigene Arbeit wächst und gedeiht, spürt: Mein Handeln macht einen Unterschied.

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Als ich mit dem Fahrrad nach Hause radle, fällt mir wieder dieser Satz ein - der mit dem Haus, dem Kind und dem Baum. Mit 31 Jahren lässt mich ein solcher Satz nicht kalt. Insbesondere, weil ich bis vor zehn Minuten nichts davon umgesetzt habe.

Der Spruch ist natürlich in vielerlei Hinsicht bescheuert - wer heutzutage ein Haus bauen will, muss zur Oberschicht gehören oder einen sechsstelligen Schuldenberg schultern. Wie ich mit meinem Mann ein Kind zeugen soll, soll mir auch jemand verraten. Und überhaupt, was ein Mann zu tun und zu lassen hat, entscheidet er immer noch selbst (nach den Aufgaben der Frau möchte ich den Urheber dieses Spruchs gar nicht fragen).

Intellektuell lässt sich das alles zerlegen - und doch sitzt dieser Spruch tief in mir. Er klopft regelmäßig an mein Fenster und sieht mich anklagend an. So oft ich ihm die Finger vom Fensterbrett löse - nach einigen Tagen hängt er wieder da und blickt mich stumm an.

Und doch, so denke ich auf dem Heimweg, sollte man den Satz nicht gänzlich beiseite wischen. Entkleidet man ihn seiner antiquierten Oberfläche, bleibt ein richtiger Kern.

Es ist die Frage nach dem eigenen Wirken in der Welt.

Es ist die Frage, was ich über mein eigenes Wohlergehen hinaus für meine Umwelt beitrage.

Es ist die Frage, wie ich die Schöpfung durch mein Handeln erhalten kann.

Diese Frage ist wichtig. Vielleicht aktueller denn je, angesichts der zerstörerischen Kräften, die auf unserem Planeten wüten. Erst vor wenigen Tagen hat eine Flut in Libyen zehntausende Menschen getötet oder obdachlos gemacht (die Flutkatastrophe in Pakistan, durch die letztes Jahr Millionen Menschen obdachlos wurden, ist schon wieder in Vergessenheit geraten).

Auch unser gesellschaftliches Klima ist bedroht: Erst vor wenigen Tagen hat ein Goslarer Ehrenbürger gefordert, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen. Wer grundlegende Prinzipen des Völkerrechts über Bord werfen will, die nach dem 2. Weltkrieg aus gutem Grund verabschiedet wurden, wird weder den Menschen noch dem komplexen Sachverhalt gerecht - und begeht einen Dammbruch in der Debatte.

Wir stehen also vor großen Herausforderungen. Das mit dem Haus, dem Kind und dem Baum: Wir sollten den Kern dieses Satzes bewahren und auf unsere Zeit anpassen. Jede*r für sich individuell, entlang des eigenen Lebenswegs, der eigenen Interessen und Stärken.

Die Arbeit an unserem "Morgen" ist vielfältig - und sie erfordert vielfältige Antworten.