Harzer Klosterwanderweg, die Dritte
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Geschrieben von Marie-Luise Eberhardt
Diesmal lege ich gleich los mit Schreiben über diese so wertvolle – sprechende - Zeit im Kloster Drübeck, die zauberhafte Idylle von Jungborn, hach die Farben, der weite Blick, Bäume tasten. Ja, einfach tasten, riechen fühlen, atmen. Wie herrlich!
Das goldene Herbstwetter lockt nach draußen und ich freue mich besonders, dass meine zwei Tage ohne Termine nicht verregnet sind, sondern ich mein Vorhaben umsetzen kann. Von Silke bekam ich nämlich den Tipp im Kloster Drübeck zu nächtigen. Dafür habe ich die Etappen des Klosterwanderwegs einfach etwas umgestellt und starte von Stapelburg. Nicht direkt, da ich noch einen Vormittagstermin im Ratsgymnasium habe, schaffe ich erst den Zug nach 12 und muss in Ilsenburg in den Bus steigen.
Schon bald erkenne ich die Stapelburg. Direkt an der Bushaltestelle finde ich unzählige Walnüsse. Also erste Pause: Walnüsse sammeln. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum weder Birnen, Pflaumen noch die wertvollen Nüsse kaum noch gesammelt werden, aber davon hatte ich ja bereits im ersten Teil berichtet. Ich verlasse Stapelburg und suche erstmal den Eingang zum Klosterwanderweg an der Brücke nach Eckerstal. Endlich habe ich ihn gefunden und bin sofort beglückt von der idyllischen Bach-Waldlandschaft.
Wenige Schritte später lasse ich mich zum ersten Mal nieder und beobachte das Glitzern der Sonnenstrahlen auf dem Wasser.
„Licht, genauer Sonnenstrahlen, fallen auf das Wasser, klitzern, müssen sich erst durchs Blätterdach kämpfen. Beleuchten Stein für Stein, den Damm aus bunten Blättern. Goldener Herbst - du bist mein."
, schreibe ich in mein Goslarbüchlein.
Staunend laufe ich weiter. Heute haben es mir besonders die Bäume angetan. Ich taste seit langem mal wieder die Rinde einer Birke, dann einer Buche, sie fühlt sich kalt an, aber nicht unangenehm. „Das Gefühl einen Baum anzufassen, gerade wenn mensch viel am Computer oder Handy hängt, ist etwas ganz Besonderes. Zu spüren wie weich, gleichzeitig rau und uneben sich die Rinde anfühlt. Worte zu finden, braucht Zeit.“ Die Baumkühle bleibt noch eine Weile an meiner Hand, was ich so noch nie beobachtet hatte.
Weiter geht meine Reise zur ehemaligen Naturheilstätte Jungborn. Ich bin sogleich von der idyllischen Atmosphäre in den Bann genommen. Lichter Birkenwald und herrliches Gras: am Waldesrand stehen zwei gestreifte Hütten und kleine Holzbauwägen im Halbkreis. Eine Komposttoilette. „Damenpark“, ist auf der anderen Seite als Eingangsschild zu lesen, was es bedeutet, erfahre ich wenig später. Erstmal stürze ich aber zu den Holzliegen, die wie ein Bett einfach da im Grün stehen. Ich liege und sonne mich, schreibe und fotografiere. Welche Wonne, nur dass kurz nach mir sich ein Paar auf die Bank hinter mir setzt und sie wild über Winterjacken philosophiert. Ich schreibe: „Jungborn, dieser Ort ist so magisch. Hier an der ehemaligen Grenze, umgeben von einer schillernden Wiese und freistehenden Bäumen, Laubbäumen vor allem Birken. Kann ich hier Urlaub machen? Gelb mischt sich langsam unter das Grün der Blätter. Nur im Hintergrund stört ein Paar meine Ruhe. Sie redet fast ununterbrochen über Klamotten. Nicht beachten, fällt nicht immer leicht.“ Zwei Krähen krächzen lautstark im Vorbeifliegen. Was sie sich wohl erzählen? „Das gibt’s doch nicht. Was macht die da auf unserer Liege?“ Sollen wir sie angreifen? „Nein lass mal lieber, wir kommen später zurück.“ „Frechheit.“
Am Ende ist das Paar weg, ich genieße die Stille und mache mich ebenfalls los.
Jungborn
Auf einer Bank vor einer Hütte sitzen drei Frauen, mit denen ich ins Gespräch komme. Sie kommen aus verschiedenen Orten und treffen sich immer hier, trinken Weinschorle und erzählen. Eine der Frauen berichtet mir, dass hier früher zu Therapiezeiten viel nackt herum gelaufen wurde und es deshalb einen Damen- und einen Herrenpark gab. Nun klärt sich, was ich weniger später auch auf einer Infotafel lesen werde. „Am 21. Juni 1896 eröffnete Adolf Just hier im Eckertal die Kuranstalt Jungborn. Mit der Anwendung von Licht, Luft, Lehm (Heilerde) und Wasser, sowie vegetarischer Ernährung fanden er und viele Kurgäste zum inneren Gleichgewicht zurück.“ Sogar Kafka war hier zu Gast, lese ich auf der Website des Jungborn Vereins. Am Ende des zweiten Weltkrieges diente diese Kuranstalt als Lazarett und der Kurbetrieb wurde eingestellt. Familie Just siedelte nach Bad Harzburg um, Jungborn wurde zunächst eine Tbc-Heilstätte, danach ein Seniorenheim. 1964 wurden aber alle Gebäude abgerissen, wegen der Ausdehnung des Grenzbaus.
Ich kann mir die Kurgäste richtig vorstellen, wie sie nackt durchs Gras schlendern, sich mit Heilerde bedecken und in den Hütten -damals ohne Glas- schlafen. Hier kann mensch ja nur gesunden.
Aber der Weg ruft und ich wandere weiter durch den Harzer Wald. Oh wie die Luft duftet. Nach Herbst und Frische. Der Wald geht in einen Park über und da sehe ich schon einen schillernden See, Fachwerkhäuser und eine gelbstrahlende Allee daneben. Ilsenburg. Wie hübsch denke ich und möchte eine Pause machen. Dafür eine Leckerei aus der Bäckerei. Huch da steht eine Schlange davor. Bald durchschaue ich warum. Eine ältere Frau redet und redet mit der Bäckersfrau, bestellt etwas, redet weiter. Es gibt zwar noch eine zweite Verkäuferin, aber so dauert es seine Zeit. Dreist, aber auch witzig die Seelenruhe dieser Frau. Ihr Mann wartet draußen auf einem Stuhl. Ich bin an der Reihe und freue mich über eine Eisenbahnschiene. „Warum warten sie denn da draußen? Können hier nur zwei Personen rein?“, fragt die Frau, die immer noch im Geschäft ist.
Nach meiner Gönnung am Rand des Sees laufe ich durch die kleine Altstadt zur Marienkirche und der Burg Ilsenburg samt Kloster. Die Zeit schreitet voran. Aber ich schaffe es trotzdem noch ein Licht in der Kirche anzuzünden und mir die Burganlage anzusehen. Weiter geht es durch einen herrlichen Park der Burganlage wieder in den Wald, hinter mir die Ilsenburg von Abendsonne bestrahlt.
Langsam bin ich geschafft und tatsächlich ein wenig im Stress, denn die Rezeption schließt um 18 Uhr. Lieber schonmal Bescheid geben, dass ich etwas knapp komme. Pünktlich mit dem Glockenschlag erreiche ich dann aber doch das Kloster Drübeck, erhalte meinen Schlüssel für mein Zimmer im Haus der Stille. Nach dem Sachenablegen durchstreife ich das Klostergelände in der Abendsonne und betrete zum ersten Mal die Kirche. Schlicht und so ausdrucksstark. Aber morgen mehr. Erstmal Abendessen und dann an den LapTop gesetzt. Den will ich nicht umsonst mitgeschleppt haben.
Die Nacht ist leider wenig erholsam. Eine Männergruppe treibt im Haus bis halb 2 ihr Unwesen. Treppauf – treppab. Diesen Hostelstil hätte ich im Haus der Stille nicht erwartet, aber gut, dafür wird der Rest des Tages viel erfreulicher. Leckeres Frühstück, Sachen packen, Schlüssel abgeben und meinen Rucksack abstellen: ich nehme mir noch Zeit das Klostergelände ganz genau zu begutachten. Ich gelange zu einer Ruheoase am Bach und bemerke das Steinlabyrinth. „Wusste nicht, dass ein Labyrinth zum Kloster früher dazugehörte.
Es tut wirklich gut dieses in der Mitte starten – von außen kommend – zur Mitte gehen, wieder hinaus ins Leben. Zeit zum bewusst gehen, bewusst Gedanken machen, Frieden finden.“
Ich durchstreife auch den opulenten Klostergarten, auf dessen Wegen sich leider reife Zwetschgen und Äpfel sowie Wespen tummeln. Ringelblumen und Co blühen noch und ein Schild im Garten bringt mich zum Schmunzeln: „Traue nicht dem Ort, an dem kein Unkraut wächst.“ Ich begutachte außerdem die Hinweistafel FrauenOrte: „Das Kloster Drübeck gehört zu den frühesten Gründungen Mitteldeutschlands. Über 1100 Jahre lebten hier Frauen in der Gemeinschaft. Otto I. nahm 960 das Benediktinerinnenkloster mit einer Güterschenkung in seinen Schutz“, lese ich. Im 20. Jahrhundert wurde das Kloster als Erholungsheim für berufstätige, alleinstehende und erholungsbedürftige Frauen bis 1991 genutzt. Äbtissin Anna, Freiin von Welck hatte dies in die Wege geleitet und ihre Nachfolgerin Magdalene, Gräfin zu Stolberg-Wernigerode umgesetzt. Einmal mehr Frauenpower!
Ich betrete ein zweites Mal die Kirche: „Diese Kirche verzaubert mich, so einfach, nein schlicht und ausdrucksstark. Aber das sind nur Wörter. Was meine ich genau? Die alten Säulen, der neue Putz, das Fenster über den Kerzenbaum, der Altar auf der anderen Seite mit Holzkreuz und Blumen fürs Erntedankfest. Schützendes Gemäuer, was Raum für Stille gibt.“ Bis zur Mittagsandacht, an der ich teilnehmen möchte, bleibt noch Zeit und so schaue ich ins Café samt Klosterladen, der Kuchen wurde mir bereits empfohlen.
Nach der Mittagsandacht hole ich meinen Rucksack und verlasse das Kloster Drübeck, wobei ich auf dem steinernen Weg gen Klosterwanderweg noch einige Walnüsse auflese.
Meine nächste Erinnerung ist dann schwarzweiß! Ich treffe auf eine Kuhweide, die sich hinter einem schmalen und lichten Waldstück befindet. Der kleine Elektro-Zaun ist allerdings direkt am Wanderweg. Ich möchte natürlich die Kühe fotografieren und komme auf die Idee sie mit einem Muhen zu rufen, damit sie auch ihre Köpfe hebe. Tja, nun geschieht etwas Merkwürdiges. Immer mehr Kühe rennen zu dem Stück Wiese, das parallel zu mir ist, mehrere schlagen sich sogar durch das Unterholz und kommen bis an den Zaun heran. Muhen aufgebracht. Fotografieren kann ich sie nun problemlos, aber so langsam wird mir doch mulmig zumute. Dieser Zaun wirkt doch sehr labil und die Kühe kampfeslustig. Ich packe meine Kamera ein und marschiere schnell weiter.
Nach einigen Biegungen gelange ich zu einer Wegkreuzung mit herrlicher Sonnenbank, auf die ich mich setze und gucke. Auf die Wiese vor mir, die Bäume um mich, meine Beine in der Luft, der Engel auf dem ich sitze und sagt „Sei mutig und stark, Gott“ - die Lehne der Bänke des Klosterwanderwegs sind in Engelform gestaltet. Ich bleibe eine Weile, lese in FrauenLeben, 18 Alltagsgeschichten aus der Nachkriegszeit und genieße die Sonnenstrahlen. Dort ist auch die Stempelstelle Kloster Himmelpforte zu finden, welches bis Mitte des 19. Jahrhunderts fast komplett abgetragen wurde, um die Steine als Baumaterial verwenden zu können.
Auf einem urigen schmalen Waldweg bewege ich mich oberhalb des Forstweges gen Wernigerode. Es dauert nicht lang und ich sehe die ersten Häuser, durchlaufe die Stadt bis zum Marktplatz, begutachte das Treiben und lasse mir noch Sommerrollen schmecken, ehe ich zum Bahnhof laufe und in den Zug gen Goslar steige.