Ganze Wagenladungen drücken sich am Wochenende in die Naherholungsgebiete. Wanderpfade werden auf Apps verzeichnet. Die Kosten für Campingbusse schnellen auf ein Allzeithoch. Die Sehnsucht nach Natur - was auch immer der moderne Mensch darunter imaginiert - ist stark.
Das ehemalige Kloster Neuwerk, meine Bleibe für die vier Monate, liegt in der Rosentorstraße. Dass diese als eine der ersten Straßen 1933 in Adolf-Hitler-Straße umbenannt wurde, erfahre ich erst Ende November beim Stadtrundgang über jüdisches Leben in Goslar von Schüler*innen der Adolf-Grimme-Gesamtschule.
Ob Bäumepflanzen, zum jüdischen Leben und zur Verfolgung von Jüd*innen recherchieren, Menschen im Seniorenheim vorlesen oder ihnen im Corona-Advent echte Esel vor die Tür stellen: die AG-Projekte, die Sabine Rehse mit ihren Jugendlichen der Adolf-Grimme-Gesamtschule angeht, berühren genauso wie das ehrliche Engagement der Lehrerin, die nach der Schulstunde längst noch nicht nach Hause geht.
Seit meiner ersten Woche im August haben wir so einige Mittwochabende mit Snacks und Weinchen nach der Probe zusammen verbracht: der Goslarer Madrigalkreis und ich. Ute fragte mich schon bald, ob ich nicht ihr Adventskonzert mit Wortbeiträgen untermalen wolle.
Ich liege im Bett, genieße die wohlige Wärme und muss mich zum ersten Mal richtig überwinden aufzustehen und wandern zu gehen. Trotz Eis und Kälte mache ich mich auf nach Wernigerode zur vierten Etappe des Harzer Klosterwanderwegs.
Das erste, was mir ins Gedächtnis springt, als ich kurz vor Goslar die Berge um die Stadt sehe: Totholz. Und auf dem Weg zum Brocken sieht es noch um Einiges schlimmer aus. Zerstörung pur, sowas habe ich noch nie gesehen. Aber den Borkenkäfer freuts.
Wieder gelandet in Goslar, in den alten Gemäuern des ehemaligen Kloster Neuwerks. Der Friede im Kopf dank der Natur ist von dannen gerückt: Aufgaben, Telefonate, Aufregung vor dem morgigen Kaisermahl. Viel schwirrt da wieder herum. Die Konzentration auf das Außen, das bloße Betrachten der Bäume und Blätter, der Steine und Gräser tat gut. Und bleibt auch erhalten. Erstmal duschen und den Schweiß abtragen.
Bergfest. Ja, es ist schon so weit. Ich schwelge ein wenig. Ein wenig in Erinnerung: meine ersten zwei Monate Goslar. Muss selber staunen und ja ein wenig melancholisch sein, denn die Zeit verfliegt zu schnell. Oh und da macht sich fast schon Panik bemerkbar: ich will noch so viel machen und sehen, schreiben und mit Menschen sprechen. – Versuch einer Zusammenfassung.
Eine kleine feine Exkursion: zur Neuwerkkirche samt Garten. Genug Inspiration für zig Wortwerke. Ein zaghaftes Rantasten während der dritten SchreibWerkstatt.
Allein zu Haus. Szenen von lauter Musik und dem Gefühl von absoluter Freiheit gehören wohl eher in die Teenagerzeit. Ein Bad mit Meditationsmusik, Ruhe und das Tanzen im Flur zeigt: die WG gehört nur mir! Aber so allein in einem großen Haus zu wohnen, einem ehemaligen Kloster am Rande der Stadt, damit wird doch anderes Kopfkino ausgelöst.
In meiner zweiten Schreibwerkstatt ging es lustig zu. WortCollage. Die Aufgabe versetzte einige Teilnehmerinnen in Kindertage zurück: aus Zeitschriften Wörter ausreißen oder schneiden - Wörter, die ins Auge fallen.