Harzer Klosterwanderweg, die Vierte

Ich liege im Bett, genieße die wohlige Wärme und muss mich zum ersten Mal richtig überwinden aufzustehen und wandern zu gehen. Trotz Eis und Kälte mache ich mich auf nach Wernigerode zur vierten Etappe des Harzer Klosterwanderwegs.

Geschätzte Lesezeit: 19 Min

Geschrieben von Marie-Luise Eberhardt

 

Sobald ich in Wernigerode aussteige, freue ich mich dann doch sehr, mich überwunden zu haben. Die Sonne scheint, es ist zwar kalt, aber ich liebe Schnee und genieße die Puderzuckerhäuser und Bäume. Mein erster Halt lässt nicht lange auf sich warten und ich lasse mir auf einem Spielplatz meinen Kaffee vom Bahnhof samt Eisenbahnschiene schmecken. Bei diesen Temperaturen ist es schon eine andere Art des Wanderns, das wird mir hier schnell klar. Lange Pausen mit Schauen und Schreiben, wie zuvor, kann ich mir knicken. Ich durchstreife den Lustgarten, erfreue mich an dem Naturspiel von Schnee und bunten Blättern, begutachte die Gebäude und entscheide mich dann doch, die Besichtigung des Schlosses zu verlegen.

Zwar bin ich früh gestartet, aber in die Dunkelheit möchte ich trotzdem nicht kommen und Zeit für das Kloster Michaelstein will ich schließlich auch noch haben. So verlasse ich den Lustgarten und laufe auf einer Straße gen Wald. Es begegnen mir sogar einige Menschen auf ihrem Sonntagsspaziergang.

Immer wieder wurde ich in der Vergangenheit gefragt, ob ich alleine laufe. Ja, zu gern. Ich liebe den Fokus auf Weg und Natur - ohne mich unterhalten zu müssen. Es ist einfach etwas ganz anderes. Mit Menschen steht das gemeinsame Erleben im Vordergrund, Gespräche und das gegenseitige Aufmerksammachen auf Blicke oder Entdeckungen. So kann ich aber oft das Außen kaum wahrnehmen. Allein verschmelze ich mit dem Außen, gebe meinen Gedanken freien Lauf und kann den Kopf lüften. Ich kann so oft stehen bleiben, wie ich möchte und muss keine Rücksicht auf bestimmte Lauftempi nehmen. Aber was ist, wenn mir etwas passiert? Wenn ich stürze oder überfallen werde? Ja, manchmal wird mir schon mulmig zu Mute, gerade wenn mir einzelne Männer begegnen. Not nice. Aber möchte ich aufgrund bestimmter Risiken diesen Schatz des Wanderns aufgeben? Könnten wir uns dann nicht gleich einsperren?

Die Kälte strengt mich an, aber da führt der Weg hinaus aus dem Wald in Richtung Sonnenstrahlen und Benzingerode. Besonders bleibt mir eine Wiese in Erinnerung, auf dem Weg sehe ich die herrlichsten Eiskristalle. Auf einer Bank am Rande eines kleinen Wäldchens setze ich mich endlich und lasse die Sonne mein Gesicht erwärmen. Bergauf geht es weiter zum Austbergturm. Er wurde bereits um 1250 errichtet. Ich sehe wie ein Eichhörnchen die Mauer hinauf klettert, aber wohin ist es verschwunden?

Im Turm selbst kann ich es nicht entdecken. Dafür sehe ich den Wald und Wiese, Benzingerode vor mir, Pferde und Hügel und die Burg Regenstein, die ich vor einigen Wochen mit meinem Mann besucht habe. Sabine R. hatte mir von ihr erzählt und ich sehe die gewaltige Natursteinfestung noch vor mir. Was für eine Stimmung. Geschichte so spürbar.

Hinab geht es nun durch den Friedhof von Benzingerode, die Kirche bleibt mir leider verschlossen, dafür kann ich am Straßenrand wenig später ein Glas Honig mitnehmen. Ich mag diese Art auf des Vertrauenskaufens: Ein kleiner Holzkasten und eine Sparbüchse, wo ich das Geld einwerfe. Eine alte Dame, die einen Spaziergang macht, meint auch, dass Honig ja sehr gesund sei. Wenig später überhole ich sie auf den Weg und wir kommen abermals ins Gespräch. Früher sei sie auch schneller gewesen, aber nun ginge es nur noch langsam voran. Ich finde es beeindruckend, dass sie sich überhaupt bei dem glatten Wetter hinausbegibt.

Aufgrund der Zeit und Wetterverhältnisse gehe ich nicht die Alternativroute über den Kammweg, sondern bleibe auf der asphaltierten Straße. Ich komme an einer Koppel vorbei und bewundere die Pferde darauf. Bald sehe ich zu meiner Linken Wiesenhügel voller Punkte. Unzählige Schafe. Aus der Ferne erklingt wütendes Hundegebell. Wenig später erblicke ich die drei großen Hirtenhunde. Sie liegen hinter dem kleinen Elektrozaun und kläffen eine Wandergruppe an. Nein, doch gefehlt. Sie kläffen ihr eigenes Echo an, wie ich nun verstehe. Denn das entfernte Gebell sind gar keine anderen Hunde, sondern diese.

Ich laufe weiter und gelange in einen Wald. Auf der linken Seite sehe ich Herbst-, auf der rechten Winterstimmung. Der Klosterwanderweg geht vom Hauptweg ab und ich freue mich über den knirschenden Laubschnee unter meinen Füßen. Tatsächlich werde ich aber auch ungeduldig, wann sehe ich das Kloster Michaelstein? Die Kälte schafft einen doch ganz schön. Eine schicken Wiesenlandschaft später, erblicke ich die ersten Häuser, überquere eine kleine Brücke und sehe einen Moment später das Eingangstor zum Kloster. Der riesige Hof macht mich neugierig. Ich laufe auf das Klostergebäude samt Museum zu, kehre kurz in der Kapelle ein.

An der Museumskasse überlege ich gemeinsam mit der Kassiererin, dass die 40 Minuten zu wenig sind, um mir alles anzuschauen, das Museum schließt in der Winterzeit bereits 16 Uhr. Dafür erfahre ich, wo die Stempelstelle sein soll. Ich gehe vorbei an den Forellenteichen, aber die Stempelstelle sehe ich nicht. Zurück auf dem Klostergelände frage ich noch einen Mann, aber er ist sich auch nicht sicher. Nun will ich erstmal im Café einkehren und einen warmen Tee trinken. Ich lese ein wenig und genieße die Pause samt Heidelbeerkuchen im schlichten Gastraum, ehe ich mich auf zum Bus mache. Wieder frage ich das freundliche Personal nach der Stempelstelle, aber diese scheint noch weiter auf dem Wanderweg zu sein. Den letzten Bus im Hellen möchte ich nicht verpassen und so verzichte ich auf den Stempel und laufe zur Haltestelle. Der Bus bringt mich zurück nach Wernigerode, wo ich in den Zug nach Goslar einsteige. Bin ich geschafft! Ich liege seitdem ich angekommen bin, im Bett. Die Kälte fordert Kraft und macht müde. Gute Nacht.

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