Romkerhaller Waldsterben (oder: Schließe ich die Augen, wirkt alles so friedlich)
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Geschrieben von Armin Wühle
Ich lege meinen Kopf in den Nacken und blicke hinauf - der größte Wasserfall des Harz plätschert vor meinen Augen.
Neben mir stehen meine Eltern und folgen meinem Blick. Sie sind gerade zu Besuch in Goslar - gemeinsam mit meinem Mann verbringen wir einen Tag im Harz. Wir haben bereits die Stabkirche besucht, sind durch Hahnenklee geschlendert, haben Fotos am Okerstausee gemacht. Ich habe von dem Dorf erzählt, dass es heute nicht mehr mehr gibt, weil tausende Tonnen Wasser darüberliegen. Wir machen Fotos von der Stelle, wo das Dorf einst lag und heute das Wasser glitzert.
Und nun stehen wir am Romkerhaller Wasserfall. Das Sonnenlicht sticht durch die Baumkronen - es ist früher Nachmittag und wir wollen die Zeit für eine kleine Wanderung nutzen. Wir wählen einen steilen Aufstieg und tauchen ab in den Wald.
Schon auf der Fahrt hierher hatte ich meine Eltern gewarnt, dass im Harz der Borkenkäfer wütet. Den Goslarer*innen ist die Geschichte sicher bekannt: Ausgelöst durch den Hitzesommer 2018, breitete sich der Borkenkäfer rasend schnell im Harz aus und befiel insbesondere Fichten. Legen sie in der Rinde ihre Eier ab, sterben die betroffenen Bäume in der Regel ab.
Allein aus einem Käferpaar können sich rund 30.000 Jungkäfer entwickeln - eine Rodung befallener Bäume ist dann dringend notwendig, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Besonders gut kann sich der Borkenkäfer in trockenen und warmen Frühlingen und Sommern ausbreiten. Da wir diese immer häufiger erleben werden, ist auch das Waldsterben eine direkte Folge des Klimawandels.
Ein kahlgemähter Harz, das wirkt befremdlich und ist doch (auf die letzten Jahrhunderte betrachtet) traurige Normalität. Das erzählt mir Sylke Wünsche, Stadtführerin in Goslar. Seit dem 14. Jahrhundert fielen Bäume dem Bergbau zum Opfer - als Bauholz oder zur Verhüttung der Erze (also für die Herstellung von Holzkohle). Die Bäume, die im 16. Jhd. nachgepflanzt wurden, waren schnellwachsende Fichten, die nicht an die hiesige Umgebung angepasst waren - und die überdies in Monokultur angepflanzt wurden. Unter diesen Voraussetzungen hatte der Borkenkäfer leichtes Spiel.
Nach einem steilen Aufstieg sind wir schließlich am Ziel angelangt. Vor uns schlängelt sich ein Bach zwischen den Bäumen. Idyllisch sieht es aus, wie sich die Sonne im kupferfarbenen Wasser spiegelt. Ich blicke dem Wasser hinterher, das viele Meter in die Tiefe stürzt - als ich aufsehe, liegt vor mir das Panorama einer abgestorbenen Schlucht. Ein paar letzte Waldstücke sind noch intakt, dazwischen gerodetete Hänge. An manchen Stellen ragen noch Baumstümpfe aus dem Boden. Selbst die hiesige Gaststätte ist verlassen. Verriegelt und mit staubigen Fenstern, passt sie perfekt ins Thema "Überreste vergangener Zeit".
Der Anblick wird nur schlimmer, als wir den Rücktritt antreten. In Serpentinen führt der Weg an der Rückseite der Bergflanke hinab. Was wir dort sehen, gleicht einer Szene aus einem Endzeitfilm. Kahle Überbleibsel von Baumstämmen, Totholz, noch mehr gerodete Flächen. So stelle ich mir ein Atombombentestgelände vor.
Erschreckend ist dieser Spaziergang an den Romkerhaller Wasserfällen. Und doch erorbert sich die Natur langsam ihren Platz zurück. Büsche wachsen links und rechts des Weges, tragen reife Blaubeeren. Mein Mann kämpft sich hindurch und kommt, etwas zerschunden von Disteln, mit einer Handvoll Beeren zurück.
Die Sonne wärmt meine Haut. Vögel zwitschern. Schließe ich die Augen, wirkt alles so friedlich.
Das denke ich häufig in letzter Zeit.
Als ich die Augen öffne, spaziere ich wieder durch eine abgestorbene Landschaft. Zum Glück, denke ich, hat sich die Natur andernorts im Harz wunderbar erhalten. Aber wie lange bleibt das so, frage ich mich.