Schönheit/Nichts wird die Welt retten

Wie weit zwei Antworten auseinanderliegen können. Ich habe Sympathien für beide.

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Geschrieben von Armin Wühle

 

Schönheit wird die Welt retten:

Was die Goslarer Immobilienfirma Junicke und deren PR-Agentur damit sagen wollte, ist natürlich Spekulation - ich verstehe es so: Wessen Auge geschult ist, das Schöne zu sehen (und damit einhergehend: wertzuschätzen), möchte diese Schönheit bewahren. Wer die Schönheit der Schöpfung begreift, will diese durch eigenes Handeln und Internationale Abkommen schützen. Wer die Schönheit des Menschen begreift, will an einer Gesellschaft arbeiten, in der sich diese Schönheit entfalten kann, frei von Armut, Krieg und Gewalt. Wessen Auge geschult ist, Ästhethik, Design und Symmetrie wahrzunehmen, schult in sich eine Zartheit, die die Grundlage bildet für eine Haltung, die uns selbst und unseren Mitmenschen das Beste wünscht.

Diesen Gedanken kann ich (trotz der Naivität, die darin liegt) einiges abgewinnen.

Eine andere Definition von Schönheit haben Aktionskünstler:innen rund um Philip Ruch geprägt. Das Zentrum für Politische Schönheit ist dafür bekannt, nicht Kunst mit politischen Inhalten zu machen, sondern Politik mit ästhethischen Mitteln. Ihre Aktionen zum Genozid in Srebrenica oder zum weiterhin stattfindenden (und in Europa kollektiv verdrängten) Sterben im Mittelmeer waren kaum auszuhalten - sie waren schonungslos, brutal und absolut notwendig. Sie lenkten Aufmerksamkeit auf bestehende Missstände, provozierten und schafften es, schön zu sein im Sinne von: den Kern offenzulegen, etwas Unangenehm-Wahres auf den Punkt zu bringen.

Zwei Definitionen der Schönheit, die mir naheliegen - aber reichen sie aus, um die Welt zu retten?

 

Nichts wird die Welt retten:

Dafür gibt es es genügend Belege, die aufzuzählen müßig sind. Dazu reicht ein Blick in die Zeitung.

Wie viele Menschen habe ich das Gefühl, dass es seit einigen Jahren mit unserer Welt so rapide den Bach runtergeht, dass einem schwindlig wird, wenn man in diesen Abgrund blickt. Und dann denke ich, halt, Stopp, auch schon vor 2020 war die Welt verloren, nur hat es uns im reichen Deutschland halt nicht so direkt getroffen.

Nichts wird die Welt retten - die Ohnmacht ist mit den Händen greifbar. Zu Pandemie und Klimakatastrophe gesellen sich die Kriege in Israel, Gaza und in der Ukraine, die vergessenen Kriege in Afghanistan und Syrien, die alltäglichen Kriege, die durch Armut und Hunger ausgelöst werden, durch paramilitärische Strukturen, Kartelle. Ach ja, Neonazis sitzen in fast allen deutschen Parlamenten und in den Parlamenten aller europäischen Länder. Fast vergessen.

Eine schöne Doppelhaushälfte in Goslar-Georgenberg wird keinen Faschisten zum Schweigen bringen. Eine schöne Kunstaktion wird das Sterben im Mittelmeer nicht beenden. An diese Stelle fällt immer wieder das Argument, Kunst und Literatur könnten Menschen und ihre Haltungen verändern und damit die Welt. Auch wenn ich daran als Schriftsteller glauben möchte, fällt es mir in diesen Zeiten immer schwerer, das zu tun. Auch wir sind im Zeitalter der Echokammern angelangt. Und sind die Probleme der Welt nicht akut genug, um schnelle Lösungen zu erfordern?

Nichts wird die Welt retten - auch diese Antwort ist wahr, aber sie ist vor allem eins:

Einfach. Und unangreifbar, weil sie sich nicht die Mühe macht, nach Lösungen zu suchen.

 

Conclusio:

Gibt es keine. Dieser Text wird kein Urteil fällen. Außer die schwer erträgliche, dass zwei diametral verschiedene Antworten gleichzeitig wahr sein können.

Schönheit wird die Welt retten.
Nichts wird die Welt retten.

Aber wenn beides gleich wahr ist, können wir zumindest entscheiden, welche Antwort wir für uns wählen.