Von einer, die tanzend in die Weite blickt und mitreißt
– Heidi Johanna Roch
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Geschrieben von Marie-Luise Eberhardt
„Du lebst nur einmal.“ - Heidi Johanna Roch
Ein Portrait von Heidi, ja wo fange ich da nur an? Beim spontanen Pilzesuchen Nähe Hahnenklee? Unserem Bad im Herzberger Teich gleich im August? Dem nächtlichen Abenteuer im Kloster Neuwerk oder doch bei ihrem Lieblingsort: dem Kreativ-Pavillon im eigenen Garten?
Den zeigt sie mir nämlich Ende September als Antwort auf meine Frage, welcher Ort in Goslar für sie besonders wichtig ist. Natürlich mag sie auch einige historische Orte wie das St. Annenhaus besonders gern, aber dieser Pavillon hat sie als ehemalige Leiterin der Kulturabteilung Goslars nach der Arbeit kreativ weiter blicken lassen. Hier hat sie beispielsweise ihre Gedanken, die ihr auch gern auf Spaziergängen beim Blick in die Weite kommen, weitergesponnen und zu Papier gebracht.
„Nicht mit jedem Blick aus dem Pavillon oder in die Weite, um Gottes Willen, aber wenn man irgendwie was zu durch denken hat, waren das tolle Stunden, die ich nicht missen möchte.“ Diese Pavillongedanken widmeten sich nicht nur beruflichen Ideen und Projekten, sondern auch familiären und freundschaftlichen Themen.
Weite braucht Heidi nicht nur zum Denken, sondern auch für ihre Art Lebensmotto „Du lebst nur einmal“. Damit verbindet sie aber keinen platten Spruch, der irgendwo an der Wand hängt, sondern ein Lebensgefühl „raus und zu allen Seiten strecken und alles im Blick haben, Weitblick haben und nicht dieses Einengende. Da kann ich nicht denken und nicht arbeiten.“ Dafür nimmt Heidi es auch gern in Kauf anzuecken, denn schließlich gehe es im Leben ja nicht immer so, wie sie selbst es möchte.
Nach Goslar brachten die in Göttingen geborene und in der Südheide in Gifhorn aufgewachsene Lebensfrau persönliche Umstände. „Ich habe in Scheidung gelebt und bin mit meinem zweijährigen Sohn erstmal zu meinen Eltern. Dann habe ich zuerst eine Ausstellung in Hildesheim gemacht, das war ja alles so im Umkreis von Gifhorn möglich.” Dann folgten Bewerbungen in Dortmund, Gotha und eben auch in Goslar.“
Die Kaiserstadt Goslar war Heidi dabei nicht nur als studierte Kunsthistorikerin bekannt. „Ich kann mich noch entsinnen: mit meinem Großvater und meinem Vater bin ich mal in Goslar vom Harz kommend durchgefahren, weil mein Großvater in das Archiv der Marktkirche musste. Er hat dort geforscht und auch im Archiv in Wolfenbüttel.
Ich kann mich noch an die Breite Straße erinnern - vom Breiten Tor her kommend - diese schönen Barockfassaden. Das hat mich irgendwie vereinnahmt. Und ich weiß noch, dass wir auf’m Schuhhof ein Eis gegessen haben. Also, das war mein erster Besuch.“
Dass sie hier mal arbeiten und leben wird, hatte sie nicht erwartet. Später studiert Heidi in Göttingen Kunstgeschichte und ist viel in der Umgebung unterwegs. Aus dieser Zeit kennt sie auch die Zisterzienserklöster wie Walkenried.
1990 zog sie nun also mit Kind und Kegel nach Goslar und leitete bis zu ihrem vorläufigen Ruhestand die Kulturabteilung. Was sie in dieser Zeit so gemacht habe, möchte ich wissen und Heidi nennt mal eben ein paar Schwerpunkte, was bei den vielen Projekten nur ein kleiner Einblick in ihr Schaffen sein wird, aber Wichtigtuerei ist nicht so ihrs und wer sie mit Doktor Heidi Roch anspricht, wird eher gebeten, den Titel lieber stecken zu lassen.
„Ich habe viel im Zusammenhang mit der Expo 2000 gemacht, da gab es zusätzliches Geld (!!!), das dank der Arbeit eines Dutzend von AB Kräften in neue Konzeptionen für die Ausstellungen in der Kaiserpfalz, im Goslarer Museum und im Rathaus floss. Auch in Stifte wie das St. Annenhaus, was mir sehr ans Herz gewachsen ist. Das ist auch so ein Lieblingsort von mir, weil da das Mittelalter noch so authentisch pocht. Da schlägt das Herz noch überall.“
Heidi erzählt mir, dass das St. Annenhaus damals noch von einer älteren Frau und einem “Haushälterpaar” bewohnt wurde. Mithilfe der Museumspädagogik, die Heidi in Goslar für ihren Wirkungsbereich etablierte, hat sie auch das historische Umfeld des St. Annenhauses an Kinder und Jugendliche zu vermitteln versucht. So wurde beispielsweise gemeinsam im St. Annenhaus in der alten Küche mittelalterlich gekocht. „Skateranlagen sind austauschbar, aber solche Projekte bauen eine Affinität zu der Stadt auf und wenn du als Jugendlicher zurückblickst, dann nimmt man solche Sachen vielleicht mit.“ Heidis Enthusiasmus für dieses Projekt ist sofort spürbar, umso ehrlicher ihre Enttäuschung, dass diese Kulturvermittlung wieder eingeschlafen ist. Die Kultur hat eben auch in der Weltkulturerbestadt Goslar oft einen schweren Stand, was vor allem die Finanzierung von Inhalten betrifft. Für die Vermarktung sei da manchmal schneller Geld zur Verfügung als für die Erarbeitung der kulturellen Projekte selbst.
Bei Gesprächen mit anderen Hortensien und Hortensen erfahre ich nebenbei, dass Heidi in den letzten Jahren ihrer Arbeit auch mit dem ehemaligen Odeon-Theater in Goslar zu tun hatte. Da rufe ich gleich mal bei ihr durch und frage genauer nach. Sie habe nach Bekanntwerden der Schließung noch eine Chronik über das Odeon-Theater von den Anfängen bis 2013 geschrieben. Dafür hat sie im Archiv und den Artikeln der Goslarschen Zeitung recherchiert. Der Theaterpädagogik und den Schülermusicals widmete sie dabei den gebührenden Platz, geht es ihr doch immer um die Vermittlung, die sie in ihren beruflichen Anfängen in Karlsruhe und Mannheim schätzen lernte. In der Funktion als Kulturdezernentin besuchte sie im Odeon-Theater Veranstaltungen, nahm an Diskussionen teil und pflegte einen guten Kontakt zum ehemaligen Leiter. Sie brachte auch Vorschläge zur Renovierung ein, aber leider fiel das Gebäude dem fehlenden Geld zum Opfer. Einmal mehr das leidige Thema Geld. So fielen nicht nur die kulturellen Aufgabenbereiche wie das Archiv, die Stadtbücherei, die Organisation von Veranstaltungen wie dem Kaiserring oder dem Paul-Lincke-Ring und publizistische Veröffentlichungen mit dem Geschichtsverein in Heidis Aufgabenbereich, sondern auch die Beteiligung an Ratssitzungen, Kultur-, Finanz- und Verwaltungsausschüssen. Nach hitzigen Debatten tat ihr die Ruhe und der Weitblick in ihrem Pavillon dann besonders gut.
„Ich liebe diese Stadt und die Umgebung, wo viele Urlaub machen. Hier habe ich einfach eine wunderbare Zeit mit meinem Mann gehabt und mit meinem Sohn Jonathan, der auf eine unbeschwerte Kindheit und Jugend zurückblicken kann. Ich konnte so einiges aufbauen, an dem mein Herzblut gehangen hat und dann bleibt man, glaube ich, auch da.“ Mittlerweile leben auch Heidis Eltern im Seniorenheim in Goslar, die sie rührend pflegt und Ausflüge mit ihnen unternimmt. In Goslar sei alles schnell erreichbar und nicht so unpersönlich wie in einer Großstadt, „hier hat es sein besonderes Eigenleben“. Trotzdem ist Heidi ziemlich froh, ein Ferienhaus in Spanien geerbt zu haben: ihre Ausweichmöglichkeit für noch mehr Weite und Abstand zum Goslarer Alltag.
Heidi spricht fließend spanisch und hat ihre Dissertation damals über den katalanischen Künstler Santiago Rusiňol geschrieben. Dieser hat im Ausgang des 19. Jahrhunderts den Begriff des Modernismo geprägt, eine Erneuerungsbewegung von Kunst, Architektur, Literatur und Musik im katalanischen Raum. „Rusiňol hat auch geschrieben. Zwei dicke Bände, Dünndruck auf katalanisch und als ich das las, habe ich festgestellt, dass er u.a. auch seine Bilder beschrieben hat... Diese enge Verbindung von Literatur und Kunst hat mich fasziniert.“ Heidi scheint noch voll im Thema, beschreibt wie sie auf den Künstler in Sitges, südlich von Barcelona, gestoßen war. Dort gab es zwar ein Museum über Rusiňol, aber eben keine Monografie, das wollte sie ändern. Sie erzählt, wie Rusiňol lange Zeit in Paris gewesen ist und durch die Symbolisten und Impressionisten geprägt wurde und dann in Barcelona und Sitges den Modernismo mit einer befreundeten Künstlergruppe ins Leben rief.
Apropos Literatur. Was liest Heidi denn zurzeit oder allgemein gern, möchte ich wissen?
„Querbeet. Ich versuche immer mich so ein bisschen mit meiner spanischen Freundin über Literatur zu unterhalten. Deswegen lese ich auch so einige spanische Literatur. Gerade Martha Orriols Der Moment zwischen den Zeiten. Das habe ich jetzt auf deutsch gelesen, aber ich lese auch auf spanisch.“ Oft, gerade bei kurzweiligen Schmökern gibt sie die Bücher nach dem Lesen an ihre Schwester oder eine Freundin weiter.
Ende September liest sie gerade auch noch Jan Wagners neuen Essayband Der glückliche Augenblick.
„Da kann man mal wieder entfleuchen für ne Stunde in so eine ganz andere Welt. Das finde ich spannend.“
Der Text auf der Rückseite des Buches hatte Heidi angesprochen: „Neue Essays von Jan Wagner, die beweisen, dass die wunderbarsten Reisen im Kopf stattfinden – ganz egal wohin es in diesen glänzend geschrieben Texten geht: in die vorregenzeitliche Schwüle Vietnams, in den Garten am Neckar neben Hölderlins Turm oder nach Kopenhagen in Inger Christensens alphabet.“, liest sie mir vor und erinnert mich daran, dass sie vor ein paar Wochen zuvor gerade am Neckar war und mir Fotos geschickt hatte. Im Dezember ist sie dann „hin und weg“ von Ferdinand von Schirachs Nachmittage. „Irre mit Pointen, die stutzig machen, sehr gekonnt“, schreibt sie mir per SMS.
Literatur hat für Heidi einen hohen Stellenwert, so wundert es nicht, dass sie die Idee des Schreibstipendiums Novum Opus vor ein paar Jahren hatte und es den übrigen Hortensien und Hortensen der Stiftung Maria in horto vorstellte. Schließlich gab es unter anderem mit dem Kaiserring und dem Paul-Lincke-Ring bereits Auszeichnungen und Aufmerksamkeit für die bildenden Künste sowie die Musik, aber die Literatur hatte in Goslar wenig Raum. „Es ist manchmal leicht zu sagen, ich habe so eine Idee, aber es gehört viel dazu, sie umzusetzen. Da musst du schon ein bisschen Butter zu de Fische geben und zu diesen Gestaltungsprozess brauchst du Menschen, die nicht im Wolkenkuckucksheim leben. Im Prozess mit den anderen wächst dann etwas. Von daher bin ich ganz erfüllt, was sich entwickelt hat und sich noch entwickeln wird.“
Heidi wurde übrigens von Neuwerks damaligen Pfarrer Werner Böse angesprochen, gleich zu Beginn Teil der Stiftung Maria in horto. „Ich glaube, er ist sehr bewusst auf die verschiedenen Frauen mit ihren unterschiedlichsten Naturellen zugegangen und hat sich gesagt, ich pick mir eine aus diesem Bereich und die andere ist aus jenem Bereich... und ich war eben die aus der Kultur... und so fügt sich alles zusammen. Er hat da so einen bunten Blumenstrauß gestaltet“, erzählt sie schmunzelnd.
Wir sitzen übrigens mittlerweile in Heidis gemütlichem Wohnzimmer, stilvoll mit so einigen Bildern und unkonventionellen Gegenständen eingerichtet. Gerade fällt mir natürlich kein Beispiel ein, aber ich sitze jedenfalls gern hier. Ich kenne ihr Zuhause bereits vom Frühstück während des Kennlernwochenendes im Juni und einem Abendessen mit Heidis Lebensgefährten Andreas, der auch Teil der Stiftung Maria in horto ist. An diesem Abend hatte sie auch spontan ihren Nachbarn eingeladen. Danach sind wir ins Kino gegangen und haben uns beim Film Freibad amüsiert und zufällig noch Dorothee, eine andere Hortensie getroffen.
Heidi ist Teil einer Ausdruckstanzgruppe, zu der ich sie auch begleiten darf, Heidi sammelt Äpfel und Birnen und mit mir Pilze, die sie köstlich zubereitet und wir zusammen verspeisen. Heidi setzt sich in der Not sofort ins Auto und fährt zu meiner Wohnung, Heidi ist im Urlaub unterwegs, Heidi fährt extra zur Autowerkstatt, um mich zu fragen, ob ich Teil der Jury sein möchte. Heidi ist verabredet, Heidi organisiert ein Fahrrad für mich, Heidi wandert. Manchmal kommt sie mir wie ein schillernder Flummi vor, so voller Energie und nach wie vor neugierig aufs Leben.
„Ich glaube, ich bin einfach so veranlagt. Ich brauche das Eine wie das Andere. Ich brauche dann aber auch die Ruhe und die Muße für mich. Liebe es auch mich nur mal auszustrecken und ein Buch zu lesen. Ich bin ne Waage und ich brauche das Eine wie das Andere.“
Ich kann es mir zwar schon denken, aber frage Heidi trotzdem, ob sie mal überlegt hat, Nonne zu werden. „Ne, also das wäre nichts für mich.“, kommt es sofort aus ihr heraus und danach geht sie ein wenig mehr auf die Frage ein: „Ich mag die Dinge, die Versunkenheit, auch mal eine Meditation, aber das kann ich da und dort machen, dazu brauche ich nicht unbedingt den kirchlichen Raum, obwohl ich natürlich als Kunstgeschichtlerin sage, die Neuwerkkirche, die wir hier haben, ist eine besondere Perle. Oder, dass ich mich für einen romanischen Garten begeistere oder einsetze und selbst ja auch den Garten hege, pflege, kuratiere. Das ist schon wichtig, aber im Kloster zu leben, das möchte ich nicht.“ Das wäre auch wieder einengend oder?, frage ich. „Ja, das wäre einengend.“
Heidi hat auch ohne Kloster keine Probleme das Handy auszuschalten und die Ruhe zu genießen. Sie kann sich gut von der rasanten Digitalisierung abgrenzen.
„Das hängt auch ein bisschen damit zusammen glaube ich, dass ich in einer Zeit groß geworden bin, da wussten viele noch nicht, ob der Computer mit K geschrieben wird oder mit C.
1979/80 gab es an der Kunsthalle Karlsruhe so ein Seminar: Wie gehe ich mit dem Computer um. Und da habe ich es bei dieser Veranstaltung der Firma Schuderer geschafft - den ganzen Betrieb, also bis zum Chef waren wir alle versammelt - dann habe ich es geschafft, dass alles abstürzte, - wobei mir vorher gesagt wurde, es kann gar nichts passieren. Vermutlich hängt mir sowas ein bisschen nach“, erzählt sie lächelnd. Scherz beiseite, denn die Digitalisierung hat natürlich auch ihr Gutes. Seit Corona sieht sie beispielsweise die Chance, das Umweltbewusstsein durch die Digitalisierung anzukurbeln. So müssten viele Geschäftsreisen nicht mehr gemacht werden, weil sich eben auch online getroffen werden könne. „Das finde ich ökologisch richtig und wichtig.“ Aber gerade in einer Kleinstadt wie Goslar favorisiert Heidi die analogen Begegnungen. Auch bei Arbeitstreffen wie derzeit zu ihrem Rechercheprojekt zum Goslarer Dom, was sie gemeinsam mit dem ehemaligen Propst und Marktkirchenbibliotheksbeauftragten Helmut Liersch und dem Geschichtsvereinsvoristzenden Günther Piegsa realisiert. Aufgehalten durch Corona und dem Umzug des Goslarer Archivs recherchiert sie seit fast zwei Jahren zum Dom und durchsucht nicht nur das Archiv in Goslar, um in alten Schriften Anhaltspunkte zu finden, wo die Einrichtungsteile des abgetragenen Doms zu finden sind. Gerade muss sie dafür mittelhochdeutsche Texte lesen und quasi ins Neudeutsche übersetzen. Im Sommer soll das Buch über den Dom herauskommen.
So langsam reicht es Heidi mit Reden, so viel habe sie doch schon erzählt und so schließe ich mein Gespräch und Heidis erstes Interview in dieser privaten Art mit der Frage, was sie an sich mag.
„Also wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich gern nur tanzen, mitreißen, bewegungsmäßig in die Vollen gehen oder dann eben auch so ganz verhalten.“
Da kommt die Waage wieder zum Vorschein und auch die andere Seite Heidis, die schon mit so einigen Schicksalsschlägen und Herausforderungen umgehen musste und gerade deswegen ehrlich tanzend mitreißen kann.