Wie alles begann
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Geschrieben von Marie-Luise Eberhardt
Eine zweite Runde, wieder ohne Erfolg und so zückte ich mein Handy. Einen Anruf später kam Sabine Fontheim um die Ecke, stieg in mein Auto und zeigte mir den Weg zum Parkplatz. Der herzlichen Begrüßung folgte mein erster kurzer Gang durch Goslar: auf zum ehemaligen Kloster Neuwerk.
Im kleinen Remter warteten sie schon alle: die Hortensien und Hortensen samt Pfarrerin Karin Liebl. Freudige Gesichter, Kaffee und Kuchen und eine Abkühlung dank altem Gemäuer. Die Vorstellung machte die Runde, wobei alle Verständnis zeigten, dass sie zu mir klar im Vorteil waren, was das Merken der Namen betraf. Keine unangenehme Stille oder gespielte Freundlichkeit, sondern sympathische Charaktere, die es mir alle auf ihre Weise leicht machten, mich wohlzufühlen.
Zweite Station nach unserem ersten Kennenlernen: die Kirche Neuwerk gleich nebenan.
Allein die Außenfassade ein Magnet, ein Blickfang, den ich noch oft betrachten werde. Innen eine Atmosphäre, die beruhigt, mich fast schon entspannte, ich war schließlich aufgeregt. Gabriele Radeck-Jördens, die mich bereits in der Einstiegsrunde vorwarnte, dass ihr Nachname so kompliziert sei, erzählte uns so Einiges Spannende über die Architektur und Geschichte dieser romanischen Kirche.
Sie hatte leider nicht unsere volle Aufmerksamkeit, was aber nicht an ihr, sondern an der Amsel lag. Die Amsel flog nämlich in der Kirche umher, wirkte orientierungslos, gestresst. Unsere Angst war natürlich groß, dass sie gegen ein Fenster fliegen, dass sie nicht mehr raus finden, dass sie sterben könnte. Eine Decke holen und sie einfangen? So einige Ideen kamen uns, dazwischen die realistischen Stimmen, dass wir sowieso nichts machen könnten und sie in Ruhe lassen sollten. Dann der Retter! Der Aufpasser der Kirche erzählte uns, die Amsel komme jeden Tag zur selben Zeit in die Neuwerkkirche und sie würde immer allein wieder hinaus finden.
Erst viele Wochen später erfahre ich von ihm, dass er den Leuten in der Kirche gerne Geschichten erzählt. War diese Amselgeschichte doch nur erfunden?
Aber zurück zum Kennlernwochenende Ende Juni, denn nach der Neuwerkkirche ging es in meine zukünftige Wohnung im Wohnturm des Klosters.
Und da stand ich schon in der markanten Eingangstür, begutachtete gleich das Wohn- und Schlafzimmer mit Novum Opus Buchstaben, gemütlicher Bettecke, dunkelgrünem Lesesessel und einem urigen Holzschrank mit drei Engelsköpfen, die sicherlich so einige Geschichten erzählen könnten. In der Wohnküche begrüßte ich mich tatsächlich selbst. Jedenfalls mein Portrait als Banner gestaltet von der Knaller-Designerin Silke Duda-Koch. Ungewohnt sich selbst ohne Spiegel gegenüber zu stehen. Aber da fiel mein Blick auf sie - diese wunderschöne Fensterbank mit rot, blau, grün gestreiften Sitzkissen. Herrlich der Blick auf die Kirche. Im Hintergrund hörte ich die Freude der Einrichterinnen Heidi Roch und Sabine Rieckhoff. Ihre Mühe hat sich sowas von gelohnt. Am runden Tisch, der wie der alte Holzschrank, vom Schatzmeister Florian Alff stammt, setzten wir uns und kamen ins Gespräch über meine Ideen, Fragen und Vieles mehr.
Nicht alle saßen mit am Tisch, denn es wurde schon fleißig das Abendessen vorbereitet - was für eine persönliche Note sich nicht einfach im Restaurant zu treffen. Andreas Rietschel wurde als Chefkoch engagiert und bereitete mit Hilfe von Dorothee Prüssner und Jutta Schober ein köstliches Drei-Gänge-Menü zu. Im Kloster? Nein, wir zogen ins romantische Gästehaus am Mönchehaus, dem Museum für Moderne Kunst. Vor dem Eingang winkte mir Gabriele bereits aus dem Fenster zu, auch eines der Bilder, die mir in Erinnerung geblieben sind. So wie der Blick über die Dächer und natürlich das leckere Mahl mit Sommerrollen, Curry und Apfelcrumble – für mich extra als vegetarische Version. Fünf von fünf Sternchen! Dafür gesellten sich noch Heike Lawin, die Kulturdezernentin Marleen Mützlaff und „Hausherrin“ Ulrike Haacke zu uns. Da muss ich einhaken, dass es mir mittlerweile so fremd vorkommt, alle ganz offiziell mit ihren Nachnamen zu erwähnen.
Glücklicherweise schlug Heidi beim Essen vor, dass wir uns Duzen. Und so klang der Abend freundschaftlich, mit stimmigen Wein aus Florians Expertenkeller, interessanten Gesprächen und randvollem Herzen aus. Beim Schreiben erreicht es mich wieder, dieses Gefühl warm und rund. Strahlend.
Nach meinem Nachtspaziergang zum Runterkommen schrieb ich schlaftrunken per Hand in mein Goslar-Schreibheft: „Bin baff und vollgestopft von diesen Stunden und diesen Menschen. Mich durchstrahlt so eine Dankbarkeit. (…) Die Kneipen und Cafes sind noch voll belebt, hier geht was in Goslar. So viele wunderbare Gassen. Die Kirchturmuhr schlägt 12. Der Klang ist klar und hoffnungsvoll.“
Klingt nach dem Ende des Textes?
Nein, denn die Hortensien und Hortensen hatten sich noch mehr Glücks- oder besser Marmeladenglasmomente für den nächsten Tag überlegt. Frühs (ja das s ist Dialekt, aber ich mags) holte mich Andreas mit dem Auto ab und wir frühstückten gemeinsam in Heidis Paradiesgarten. Es gab sogar frische Walderdbeeren!
Weiter gings mit einer Stadtführung von Goslars bester Stadtführerin: Dorothee, die natürlich bestritt die Beste zu sein und ihre Kolleg*innen lobte. Ich war entzückt über diese Wucht an architektonischer Schönheit, spürbarer Geschichte und der gelungenen Zusammenführung in die Gegenwart. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die Klauskapelle, welche die Bergleute besuchten, bevor sie zum Bergwerk Rammelsberg gingen. Auch die Gründung der Knappschaft in Goslar, die auch eine Versorgung von kranken oder verunglückten Bergleuten ermöglichte, fand ich sehr spannend. Und ganz verrückt: die Goslarer Bürger*innen zündeten selbst Klöster und Kirchen am Rande der Stadt an, um sie nicht den Braunschweigern zu überlassen. Noch Vieles von Dorothees Wissen über Goslars Geschichte könnte hier Erwähnung finden, aber es wird zu viel. Zum Ende der Führung durfte ich noch das Glockenspiel auf dem Marktplatz erleben. Zünftiger Abschluss meines Kennlernwochenendes war das gemeinsame Mittagessen mit Blick auf Goslar von der Terrasse des Maltermeister Turms.
Ja, was soll ich noch sagen: so rundum verwöhnt und einfallsreich überrascht, wurde ich noch nicht. Es war ein Fest. Aber so richtig.