Es brodelt

Seit meiner Ankunft in Goslar spüre ich: da brodelt etwas in der Stadt. Zur Debatte um den Bau des Kaiserpfalzquartiers.

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Geschrieben von Armin Wühle

Seit meiner Ankunft in Goslar spüre ich: da brodelt etwas in der Stadt.

Deutlich wird das schon in den ersten Tagen: Meine Eltern sind für meine Einführungsfeier in Goslar, gemeinsam spazieren wir durch die Altstadt. Als wir an dem abgezäunten Erdhaufen unterhalb der Kaiserpfalz vorbeikommen, erkläre ich in knappen Worten, was ich bis dahin aufgeschnappt habe: Eine Stadthalle und ein Hotel sollen hier mitunter gebaut werden, ein bekannter Unternehmer der Stadt würde die Halle mit mehreren Millionen Euro bezuschussen, das Projekt habe sowohl Unterstützer:innen als auch Gegner:innen.

Weiter komme ich nicht, denn in diesem Moment passiert uns eine Frau. Sie muss einige Wortfetzen aufgeschnappt haben, jedenfalls macht sie kehrt und spricht mich an:

„Entschuldigung, aber Sie erzählen gerade bitte nicht, wie toll dieses Projekt wäre, oder?“

Ich lache und erkläre, dass ich noch sehr frisch in der Stadt bin und von dem Vorhaben – dem sogenannten Kaiserpfalzquartier – gerade erst gehört habe. Ich hätte meinen Eltern nur grob die Pläne skizziert.

„Okay, gut. Denn dieses Projekt, also – es ist wirklich schlimm, was da abgezogen wird.“

Von meiner Künstlerwohnung im Kloster Neuwerk habe ich bereits verfolgt, wie Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt werden – das Bürgerbegehren gegen eine städtische Beteiligung am Kaiserpfalzquartier. Bis Anfang Dezember 2023 sammeln die Initiator:innen Unterschriften dafür – ab 4100 gesammelten Unterschriften muss ein Bürgerentscheid durchgeführt werden. Das anschließende Ergebnis wäre bindend.

Der Bau einer Stadthalle, eines Hotels, einer Tiefgarage: Ein klassisches kommunalpolitisches Thema – aber mit höchster Sprengkraft, wie sich noch zeigen wird.

Die Befürworter:innen betonen, dass das Kaiserpfalzquartier eine einmalige Chance für die Stadt sei. Kunst, Kultur, Musik, Vereinsaktivitäten – all das ermögliche die Halle, zudem locke das Hotel Tourist:innen und Tagungsgäste in die Stadt. Der Einzelhandel profitiere, und ganz allgemein steigere sich damit die Attraktivität der Stadt, die wie viele andere vom Wegzug jüngerer Generation betroffen sei. Das Grundstück neben der Kaiserpfalz – dem Herzstück Goslars! – sei seit Jahren ein Schandfleck und müsse nun innovativ umgestaltet werden. Jahrelange Planung und eine einmalige Chance würden in den Sand gesetzt, wenn das Vorhaben und die großzügige Unterstützung des Unternehmers Tessner ausgeschlagen würden.

Die Gegner:innen mahnen insbesondere die Kosten an: Diese seien von ursprünglich 6,5 auf über 12 Millionen gestiegen und dennoch zu gering kalkuliert, hinzu komme die jüngste Inflation – die Stadt drohe sich maßlos zu verschulden. Die veröffentlichten Pläne ließen den Schluss zu, dass die technische Ausstattung für Theater und Musik unzureichend sei und auch nur etwa 500 Besucher:innen (statt den versprochenen 800) Platz fänden – Hallen mit dieser Kapazität gäbe es in Goslar bereits. Ohnehin stünde es dem Unternehmer Tessner frei, mit seinem Privatvermögen Hotel und Halle allein umzusetzen – aber die finanzielle Last (und den langfristigen Betrieb der Halle) solle nicht die Stadt tragen.

Und neben der Kaiserpfalz liegt ein eingezäunter Erdhaufen und wartet auf eine Entscheidung.

Die Fronten sind verhärtet.

 

***

Ein Donnerstagabend in den Goslarschen Höfen: rund 60 Bürger:innen drängen sich dicht an dicht. Eingeladen hat die Initiative zum Bürgerbegehren, um ihre Positionen darzulegen. Im Publikum sitzen viele Kritiker:innen der Quartierspläne, aber auch eine Reihe Befürworter:innen sowie mehrere Unentschlossene.

Schnell wird aus einer Vorstellung der Gegenargumente eine lebhafte Diskussion zweier Seiten – in der Hauptsache vertreten durch den Ersten Stadtrat und Kämmerer Dirk Becker, der als Hüter der städtischen Finanzen prädestiniert ist für diese Aufgabe. Während der gesamten Veranstaltung wird er im Publikum sitzen bleiben – und sich gegen Ende doch einen Schnaps wünschen, so häufig muss er an diesem Abend Rede und Antwort stehen.

Der Ton der Debatte ist gelegentlich scharf, manchmal gehässig. Aber es gibt auch immer wieder Punkte, an denen Annäherung möglich scheint. Einig sind sich die meisten, dass es für das Grundstück neben der Kaiserpfalz eine Lösung braucht. Einig auch, dass das kulturelle Angebot von Goslar allen am Herzen liegt. Das Wie der Umsetzung spaltet.

Was mir als Großstädter gleich auffällt: Alle in diesem Raum kennen sich. Mitunter die schärfsten Konkurrenten duzen sich. Kleinstadt eben.

Hier zeigt sich eine Gefahr, falls sich die Debatte um das Kaiserpfalzquartier weiter verschärft: In Goslar kann man schlecht in die Anonymität abtauchen. Alle paar Minuten angestrengt zur Seite blicken, wenn man durch die Fußgängerzone geht – das kann keine Perspektive sein.

In Gesprächen mit beiden Seiten merke ich schon jetzt, wie sich gegenseitig eine respektlose und intransparente Kommunikation vorgeworfen wird. Umso notwendiger scheint mir, mehr Formate wie diese aufzusetzen – auch auf die Gefahr, sich erstmal mehr zu verkrachen, bevor man wieder aufeinander zugehen kann.  

Den überzeugendsten Auftritt legt an diesem Abend eine hin, der Stadthalle und Hotel persönlich egal sein dürften: Katrin Tober, Sprecherin des Vereins „Mehr Demokratie“ legt ein überzeugendes Plädoyer für direkte Demokratie hin. Eigentlich bin ich vom Schweizer Modell eher abgeschreckt – ich denke an Minarettverbote und andere antifreiheitliche Entscheidungen, bei denen vor allem die Schlagzeilen der Boulevardpresse entscheidend waren.

Dennoch, so ihr Argument: Ist es bei einem städtebaulichen Vorhaben derartiger Tragweite nicht angemessen, ein Votum der betroffenen Bürger:innen einzuholen? Natürlich könne ein Bürgerbegehren und der anschließende Bürgerentscheid zu einer „vergifteten Stimmung“ in der Stadt führen – doch wenn alle Seiten den Prozess wertschätzten und in einen guten Dialog miteinander fänden, in dem auch unterschiedliche Positionen Bestand haben können, wäre das nicht eine Chance für echte Bürger:innenbeteiligung? Mic Drop.

Von einer „längst überfälligen Veranstaltung“ spricht am Ende auch eine der Teilnehmenden – und auch mir scheint, dass dieses Brodeln, das mir seit dem ersten Tag begegnet ist und das in den Artikeln und Leserbriefen der Goslarschen Zeitung ausgiebig verfolgt werden kann – dass dieses Brodeln aufgefangen werden muss. Und dass es nicht einfach verschwindet, sollte das Bürgerbegehren scheitern.

Es bleiben große Fragen:

Wie lassen sich in einer diversen Gesellschaft verschiedene Positionen vereinen?

Wie lassen sich Ergebnisse finden, mit denen zumindest ein Großteil der Beteiligten zufrieden ist?

 

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Stimmen:

„Ich bin eine Befürworterin der Halle. Ich glaube, das Projekt wurde nicht immer gut kommuniziert – aber diese Chance dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Wenn das Bürgerbegehren und die Diskussion darum hilft, das Projekt besser zu machen, gut. Aber wenn es dazu führt, dass wir uns nur noch mehr die Köpfe einschlagen, und das befürchte ich – dann nein.“

„Die Stimmung ist angespannt, ja. Aber es gibt auch Leute, die haben noch nie etwas von einer Stadthalle gehört. Die haben ganz andere Sorgen. Ich weiß, diese Millionen sind zweckgebundene Gelder, aber trotzdem denke ich: Könnte man mit den Millionen nichts Besseres anstellen? Oder zumindest die bestehenden Kulturinstitutionen besser unterstützen?“

„Letztens hieß es, die Stadthalle würde junge Familien in die Stadt ziehen. Das glaube ich nicht. In Oker wurde letztens eine bilinguale Schule in den Sand gesetzt. Das wären Gründe, warum junge Familien in die Stadt ziehen. Das kulturelle Leben ist natürlich wichtig für die Attraktivität einer Stadt, aber da ist ein Kaiserpfalzquartier nur eines von vielen Punkten. Und wenn dann die Gefahr besteht, dass die Kosten explodieren und wir uns schlimm verschulden – dann sollte man besser umplanen.“

„So viele Vereine, Schulen, Kulturveranstalter warten auf eine Halle wie diese. Warum sollten wir das großzügige Angebot, das Herr Tessner unserer Stadt macht, ausschlagen? Viele beneiden uns um diese Lage!“  

 

***

Bei meiner Antrittsrede als Wortwerker habe ich angekündigt, einen wohlwollend kritischen Blick auf die Stadt werfen zu wollen – insbesondere gesellschaftspolitischen Themen wollte ich auf die Spur gehen. Im Jahr 2023 kann ein Wortwerker mit diesen Ansprüchen die Debatte um das Kaiserpfalzquartier nicht ignorieren. Alles andere wäre lächerlich.

Also, was begegnet mir?

Fernab inhaltlicher Fragen: eine gespaltene Stadtgesellschaft.

Was nützt die gelungenste Stadthalle und das schönste Hotel, wenn sich ein beachtlicher Teil der Bevölkerung – aus welchen Gründen auch immer, seien sie berechtigt oder unberechtigt – nicht mit dem Projekt identifiziert?

Meiner Meinung nach müssten sich alle – ob Befürworter:innen oder Gegner:innen des Projekts – darauf einigen können, dass Debatten und demokratische Beteiligungsprozesse allen Seiten nützen. Eine kritische Gegenöffentlichkeit kann das Vorhaben verbessern, indem es den Planer:innen genau auf die Finger schaut und sie, wo nötig, zu Verbesserungen mahnt. Sonst bräuchte es im Parlament auch keine Opposition.

Ich glaube, dass mehr Gespräche zu mehr Verständnis führen.

Ich glaube, dass demokratische Beteiligungsprozesse einer guten Idee nicht schaden können.

Ich glaube, dass gemeinsames Aushandeln der Wetzstein guter Entscheidungen sind, sofern beide Seiten ernsthaft an Lösungen interessiert sind.

Ich glaube, dass das alles nicht leicht ist.

Aber ich wünsche, dass den Menschen in Goslar dieses Kunststück gelingt. Immerhin steckt in dieser Frage mehr als nur der Bau einer Stadthalle und eines Hotels – sondern immer auch die Frage, wie wir unser Miteinander und unsere Demokratie gestalten wollen.