Goslarerin mit Leib und Seel - Netz und Neugierde
- Dorothee Prüssner
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Geschrieben von Marie-Luise Eberhardt
„Durch das eigene Erzählen bei Führungen verwurzelt du dich selbst immer mehr in dieser Stadt.“ - Dorothee Prüssner
Mit Doro, wie ich sie mittlerweile liebevoll nennen darf, habe ich schon so Einiges erlebt in Goslar. Bereits im Juni führte sie mich während meines Kennlernwochenendes durch ihre Geburtsstadt – von der Musikschule, dem Siemenshaus bis zur Klauskapelle, die wir sogar besichtigen konnten, weil Doro bei der Küsterin klingelte und den Schlüssel holte. Voll Begeisterung und Hingabe zeigte sie mir die Details einzelner Häuser, sprach über das frühere Leben in Goslar, die Bergarbeiter, das Hospizsystem, das Leben der Kaiser und viele weitere Einzelheiten. Pünktlich um 12 Uhr mittags landeten wir auf dem Marktplatz und ich erlebte zum ersten Mal das Glockenspiel. Seit gut 35 Jahren ist Doro geprüfte Stadtführerin aus Leidenschaft.
Aufgefallen war sie mir bereits am Tag zuvor, als sie ganz bedacht nach den ersten Programmpunkten zu mir meinte: „Zieh dich ruhig erstmal zurück, wenn du Ruhe brauchst. Das sind ja so viele Eindrücke.“
Doro freut sich wenn sie ihrem Gegenüber eine Zeit ohne Druck und Stress verschaffen kann, das kommt auch an diesem Tag, Mitte November, zur Sprache. Lustigerweise muss sie diesmal aber auf die Uhr schauen, weil sie noch verabredet ist. Genügend Zeit für ein Heißgetränk samt Kuchen und spannendem Gespräch bleibt aber allemal. Eigentlich wollten wir dafür ins Café am Marktplatz, aber da dieses kurz vor Eröffnung des Weihnachtsmarkts geschlossen ist, gehen wir ins Central gegenüber.Vor unserem Gespräch waren wir bei Herrn Kurth in seinem Haus in der Schreiberstraße von 1518 zu Besuch. Er zeigte uns die alte Kemenate und weitere Räume im Haus: Einblicke, die ich ohne Doro nicht erhalten hätte.
Als Ziel für unser Gespräch war der Marktkirchturm geplant, diesen hat sich Doro als besonderen Goslarort ausgesucht - aber es ist nasskalt und ungemütlich. So gehen wir vorbei an der Kaiserpfalz, von wo, wie sie betont, es auch einen herrlichen Blick auf die Marktkirche gibt, zum Marktplatz.
In Gedanken beamen wir uns wenig später auf dem Sofa im Café sitzend auf den Marktkirchturm und Doro beginnt zu erzählen, warum sie diesen Ort gewählt hat. „Den habe ich mir ausgesucht, weil er so mittendrin ist. Die Marktkirche mit dem Rathaus und dem Marktplatz ist einfach das Herz der Stadt. Und wenn du dann noch in die Höhe gehst, hast du wirklich den perfekten Überblick über diese sehr schöne, liebenswerte Altstadt. Und im Stehen drehst du dich immer nur ein Stück um und dann siehst du alles, was diese Altstadt ausmacht, jedenfalls die Gebäude, die Menschen siehst du nicht. Die sind natürlich das Wichtigste. Wenn du wieder runter kommst, triffst du auf die Menschen. Das ist, was hier alle lieben. Wer hier in Goslar lebt, sagt meistens, es sind die Menschen, das Miteinander, was so wichtig ist.“
Aber Doro ist nicht nur der Turm als Aussichtspunkt wichtig, sondern auch die Marktgemeinde, mit der sie verschiedene persönliche Erinnerungen verbindet. „Ich bin in der Marktkirche getauft und habe da meine Kindheit verbracht. Schon als kleines Mädchen habe ich meine Brüder zum Konfirmandenunterricht begleitet und später habe ich da auch viele Jahre gearbeitet, als Kirchenpädagogin. Die anderen Kirchen habe ich auch sehr gerne, aber die Marktkirche ist eben mein gemeindliches Zuhause. Da war ich auch viele Jahre im Kirchenvorstand. Also die Marktkirche und die Marktgemeinde, was drumherum ist, das ist für mich doppelt wichtig: Persönlich und geschichtlich.“ Doro beamt sich nochmal zu unserem Ausgangspunkt den Marktkirchturm und kommt abermals ins Schwärmen. „Was ich auch besonders schön finde, wenn du da oben stehst und vergisst, dass es eine volle Stunde ist. Dann fangen die großen Glocken an und schlagen in dein Ohr, dann hältst du dir die Ohren zu und das ist herrlich. Das reißt dich nochmal raus. Und so ein Glockenschlag ist ja auch wie ein Herzschlag.“
Doro lebt gern in Goslar, ihre Begeisterung ist deutlich hör- und spürbar, trotzdem möchte ich noch genauer ihre Verbindung zu ihrer Geburtsstadt verstehen. Sie merkt sogleich an, dass sie keine Urgoslarerin ist, da ihre Eltern nicht aus der Stadt stammen. Wie diese nach Goslar kamen, ist sogleich ein Stück Deutsche Geschichte: „Mein Vater war Spätheimkehrer aus russischer Gefangenschaft und er kam erst Anfang der 50er Jahre nach Hause. Meine Mutter war nach Goslar geflüchtet mit meinen beiden großen Brüdern, weil Goslar unbeschädigt war. Sie hatte hier eine Freundin und die hat sie aufgenommen. Durch glückliche Umstände ist mein Vater aus der Gefangenschaft gesund und lebend nach Hause gekommen, nach diesem schrecklichen Krieg. Sie haben sich dann hier in Goslar verabredet. Dann kam mein Vater irgendwann hier an und die beiden haben sich so gefreut, dass sie sich wieder sehen im Leben und deshalb bin ich aus dieser Freude heraus geboren.“ Eine schöne Geschichte, das findet nicht nur Doro. Mit Goslar verbindet sie außerdem ihre Kindheit und Jugend, Freundschaften, Schule, ihre Ausbildung zur Einzel- Handels und Industriekauffrau. Nach einem Abstecher in Bad Godesberg, einem Bonner Stadtbezirk, kehrt sie wieder zurück nach Hause: „Das ist eben Goslar. Und wenn du dort einen Job hast, deinen Mann kennenlernst, deine Kinder hier kriegst, baust du dir dein Leben hier auf. Ich habe das nie als zu eng empfunden, weil die Welt ist so schnell erreichbar. Goslar hat diese tolle Lage. Du bist ja hier ohne Autobahnstau in zwei Stunden in Hamburg, du bist in knapp drei Stunden in Dresden. West, Süd, Nord das ist ja ne super Lage. Ich bin auch gerne und viel unterwegs, nutze auch die Großstädte und ich bin viel in Berlin oder in Thüringen, sehr gerne. Das ist eben alles schnell erreichbar und dann komme ich immer sehr gerne wieder zurück: Der Harz und die Luft und die Menschen. Ja und wenn du hier irgendwann so tief verwurzelt bist, willst du deine Wurzeln nicht mehr rausreißen, dann bleibst du hier, dann willst du hier alt werden mit all den Menschen.“
Doro ist breit vernetzt in der Stadt, grüßt oft vorbeigehende Leute. Dieses Gefühl „nie allein“ zu sein, mag sie besonders. „Selbst wenn du mal allein einen Kaffee trinken willst, du triffst bestimmt jemanden, mit dem du quatschen kannst. Oder mit dem du auch etwas organisieren kannst. Beruflich oder im Ehrenamt. Man kennt sich. Das ist dann schnell gemacht. Das hast du ja auch kennen gelernt in den vier Monaten. Wenn man da offen und aufgeschlossen ist, geht das ruckzuck.“ Ich kann ihr nur beipflichten: die Gemeinschaft in Goslar ist mir auch ruckzuck aufgefallen. Doro ist auch bei verschiedenen Gruppen ehrenamtlich aktiv: derzeit ist sie die Vorsitzende der Bad Harzburg Walburga, einem Service Club, der sich vor allem für Kinder und Jugendliche einsetzt. Sie sitzt auch im Vorstand des Vereins zur Förderung moderner Kunst des Mönchehaus Museum Goslar. Doro sieht diese besondere vernetzte Stadtgesellschaft auch im Unterschied zu anderen mittelalterlichen Städten, die sie besucht hat, herausstechen. Nur der zunehmende Leerstand bekümmere sie.
Warum Dorothee so vernetzt in Goslar ist, hängt mit ihrer bunten Biografie zusammen. Ihre einzelnen beruflichen Stationen haben auch immer wieder mit Menschen zu tun, die ihre Stärken erkannt und ihr zu neuen Herausforderungen geraten haben. „Da war ich immer wieder neugierig, bis heute.“ Mit ihrem ersten Baby hat sie damals ihre Stadtführerinnenausbildung gemacht. Allein mit Kind zu Hause, was damals ja noch die Norm für Frauen war, hatte sie es nicht lange ausgehalten. Die Stadtführer-Prüfung sei gar nicht so leicht und bereite darauf vor eine solide Führung machen zu können. Dann kommt die Sucht ins Spiel. „Ich glaube, wenn da erstmal so ein Schalter umgekippt ist, bist du süchtig danach, wie ein Junkie. Also du möchtest den Gruppen diese schöne Stadt zeigen und erklären. Du willst sagen können: guck mal genau dorthin und was ist das für ein toller Ort. Es macht Spaß unterschiedliche Menschen kennen zu lernen und du erfährst neue Herausforderungen. Manchmal wirst du etwas gefragt, weißt es nicht genau und dann arbeitest du dich wieder ein und wirst wieder ein Stück schlauer.
Durch das eigene Erzählen bei Führungen verwurzelt du dich selbst immer mehr in dieser Stadt.“
Der umgekippte Schalter wie sie es beschreibt, führt eben auch dazu, dass sich Doro im Laufe der Jahre immer mehr auf bestimme Themen spezialisiert und Zusammenhänge verstanden hat. Wie wenn sie beispielsweise im Urlaub ist, und in anderen Städten die Architektur von Kirchen, Rathäusern und andere zentrale Bauten besichtigt. „Ich denke, alles, was du mit Liebe machst, merkst du dir ganz schnell.“ Aus Begegnungen wie mit Herrn Kurth behält sie sich auch viele neue Informationen, weil diese mit der Situation der Begegnung verknüpft sind. „Am Anfang bin ich fast verrückt geworden, weil ich dachte, es gibt so viel zu lernen, das kann ich ja nie alles lernen. Denn je mehr du weißt, weißt du, was du alles nicht weißt.“ Heute kann sie darüber herzlich lachen. Die Erfahrung im Alter habe ihr eine gewisse Coolness verschafft und sie hat keine Probleme mehr damit, nicht alles wissen zu können. Schließlich gebe es heutzutage ja auch Google und fehlende Informationen können ruckzuck nachgeschaut werden.
Ich darf im Dezember noch bei einer anderen Führung von Doro teilnehmen: im neuen Rathaus. Elf Jahre wurde es renoviert und lädt nun ein Geschichte an jeder Ecke zu erfahren.
Eine der Geschichten, die Doro uns erzählt, ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Als 1959 der Boden des Eingangssaales im Rathaus renoviert wurde, wurden unzählige Rechnungen unter dem Holz gefunden, auch eine vom Henker, der die Besorgung von Holzscheiten beanschlagte. Durch die Anzahl der Holzscheite errechneten nun Fachpersonen, wie viele Menschen der Hexenverbrennung zum Opfer fielen. Wahrscheinlich 27.
Doro ist allerdings nicht nur Stadtführerin. Zehn Jahre nach dieser Ausbildung ist sie wiederum für etwa zehn Jahre als Kirchenpädagogin in Goslar unterwegs und für alle Kirchen und Hospitäler der Altstadt zuständig gewesen. Die jeweilige Kirche wird zum Lernort für Gruppen, von Schüler*innen bis zu Rentner*innen. „Ich erzähle denen die versteckten christlichen Bedeutungen von der Architektur und den Bildern, die vielleicht aus der christlichen Bildung verschüttet sind oder eben ganz neu entdeckt werden. Das ist keine missionarische Arbeit, sondern es geht darum, den christlichen Glauben über die Kirche und den Inhalt, die Exponate, wieder zum Vorschein zu bringen.“ Dafür hatte sie normalerweise einen Koffer mit Symbolen dabei, die dann von den Teilnehmer*innen im Kirchenraum gesucht werden sollten. Auch ich durfte ihre Arbeit als Kirchenpädagogin in der Frankenberger Kirche erleben. Dort hörte ich zum ersten Mal das Wort Glockenfriedhof. Hinten auf der linken Seite hängt eine Scherbe an der Wand. Ich wusste nicht, was es für eine Scherbe ist, aber Doro klärte mich auf: die Scherbe einer der Glocken, die beim Herunterlassen kaputt ging. Warum sie herunter gelassen wurde, möchte ich wissen. Weil sie im Krieg als sogenannte Metallspende des deutschen Volkes eingeschmolzen werden sollte. Die Glocken wurden auf sogenannten Glockenfriedhöfen gesammelt und von da aus industriell weiterverarbeitet, wenige blieben verschont und konnten nach Kriegsende an ihre Gemeinden zurück gegeben werden.
Als Kirchenpädagogin war es Doro aber auch wichtig, Veranstaltungen über die verschiedenen Gemeinden hinweg zu organisieren. Besonders stolz ist sie bis heute auf ihr „Baby“ den Church Walk zu Pfingsten. „Am Pfingstsamstag geht man von Kirche zu Kirche und in jeder Kirche ist eine andere musikalische Veranstaltung, die etwa 20 Minuten dauert. Dann laufen alle los zur nächsten Kirche. Da siehst du ein wildes Hin- und Herlaufen in der Altstadt parallel von den verschiedenen Gruppen. Ich bin sehr stolz drauf, dass mein Baby längst erwachsen ist und sich andere Menschen darum kümmern, dass das ein voller Erfolg ist. Pfingsten in Goslar, da musst du mal kommen.“
Zehn Jahre als Kirchenpädagogin sind um, da steht eine neue Herausforderung vor Doros Tür. „Irgendwie sind es immer so zehn Jahre, diese Phasen. Das ist mir mal so aufgefallen. Das ist nicht bewusst gewollt. Im Nachhinein gucke ich und denke, das waren zehn Jahre und jetzt gehst du wieder einen anderen Weg.“
Als Stadtführerin und Kirchenpädagogin weiß sie, was sich viele Menschen von den Politiker*innen wünschen und wo sie Baustellen sehen. Ihre Briefe an den Rat der Stadt sorgen zwar für Rückrufe und Nachfragen, nicht aber zwingend zu Veränderungen. „Dann habe ich irgendwann gedacht: vielleicht müsste man tatsächlich mal selber aktiv werden. Da kam wieder jemand auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht für den Stadtrat kandidieren möchte. Erst habe ich mir das schwer vorstellen können, aber dann habe ich das gemacht und es klappte auch auf Anhieb.“ So wird Doro, die 2000 in die CDU eingetreten ist, politisch aktiv. Auch bei den Landtagswahlen schneidet sie viel besser ab, als gedacht, auch wenn sie diese Wahl noch nicht gewinnt. Dafür zieht sie schließlich 2005 für zwei Legislaturperioden in den Landtag Niedersachsens ein. Anfangs arbeitet sie nebenbei noch als Stadtführerin und Kirchenpädagogin. „Da hatte ich immer Stress und bin überall nur noch hingerannt. Ich habe immer gesagt: Kann mal jemand die Zeit anhalten? Ja, in dieser Zeit habe ich gelernt, mich gut zu organisieren.“
Aber nicht nur das, sie habe viel mitgenommen aus diesen zehn Jahren: „Das war eine tolle Zeit. Ich habe mich auch anders kennen gelernt, persönlich viel mitgenommen. Das ist auch nicht schlecht für eine Persönlichkeit, für so ein Reifen.“
Dann wurde Doro 60 und war mit ihrer politischen Arbeit zufrieden, sodass sie sich nicht erneut zur Wahl stellen lassen wollte. In der Politik eine ungewohnte Entscheidung, nicht abgewählt zu werden, sondern sich selbst nicht mehr zur Wahl zu stellen. „Für mich war die Zeit dann um – alles hat seine Zeit – und ich dachte, jetzt kannst du das in andere Hände übergeben. Privat hatte sich dann auch was Neues ergeben, mein drittes Enkelkind wurde geboren. Und in diesen zehn Jahren hatte ich ja bis auf Geburtstage und Weihnachten die Familie kaum gesehen.“
So beendete Doro 2013 ihre politische Arbeit, seitdem ist sie fast wieder zehn Jahre in Ruhestand und gespannt, was sich in den nächsten zehn Jahren Neues ergibt.
Eins da ist sie sich gerade nach ihrer Erfahrung in der Politik sicher:
„Stress will ich gar nicht mehr. Wenn ich dazu beitragen kann, dass Menschen weniger Druck haben und erstmal abschalten können, das wünsche ich mir. Weil ich weiß, es gibt so viel Stress und so viele Nöte und Sorgen. Und ich weiß um gesund zu bleiben, muss man auch mal sagen: atme erstmal durch.“
Doro hat bereits von ihrer Verbindung zur Kirche erzählt, ich möchte nun von ihr wissen, ob ihr Glaube schon immer eine Rolle für sie gespielt hat. Ihr Vater als Katholik konvertierte zum evangelischen Glauben, da ihre Mutter darauf bestand ihre Kinder evangelisch zu erziehen. Der Glaube zu Gott habe ihr schon früh Halt gegeben. „Ich habe zwei ältere Brüder, die im Krieg geboren sind und der Krieg war oft Thema beim Abendbrot. Durch die Erzählungen hatte ich als Kind immer große Angst vor dem Krieg. Da habe ich im Bett gebetet: Lieber Jesus ich bin klein, mein Herz ist rein. Und ich habe bereits als Kind gedacht, dem kannst du alles erzählen. Das weiß ich jetzt erst als alte Frau, dass das ein wichtiger Halt gewesen war.“
Für Doro ist der Glaube ein Gerüst in allen Lebenslagen. Auch während ihrer Zeit in der Politik spielte er nicht nur bei Gesprächen in der Fraktion eine Rolle. „Ich habe das Gebetsfrühstück im niedersächsischen Landtag eingeführt z.B. haben wir vor den Plenarsitzungen alle Fraktionen, egal welchen Glaubens zum Beten eingeladen.“
Ob Notsituation oder wertschätzende Momente:
„Mein Glaube hat mir immer geholfen.“
Sie freue sich auch jedes Mal, wenn es Wissenschaftler*innen nicht gelingt, etwas zu erklären, weil es eben Dinge gibt, die nicht zu erklären, sondern nur zu glauben sind.
Selbst hat Doro auch ein richtiges Wunder erlebt. „Ein richtiges großes Wunder“, strahlt sie mich an. Was genau, möchte sie mir nicht öffentlich erzählen, aber es geschah zu einer Zeit, als sie vom Glauben abgekommen war und durch dieses Wunder zurückfand. „Hast du mal ein richtiges Wunder erlebt?“, fragt sie mich.
Es gab auch eine Phase in Doros Leben, wo sie überlegte komplett auszusteigen und in ein Kloster zu gehen. Aber das Leben lief anders und sie kam von der Idee ab.
Dafür hat sie Pfarrer Werner Böse zur Stiftung Maria in Horto gebracht. „Er hat seine Schafe oder Jünger wie ich gern sage, um sich versammelt. Genau geguckt, wer soll im Vorstand sein, wer harmoniert miteinander. Werner war ja auch ein sehr weitsichtiger Mensch, der diese Stiftung mit beruflicher Vielschichtigkeit besetzt hat. Ich habe ihn gefragt: Warum jetzt ich Werner? 'Weil du bist gut vernetzt in der Stadt, kennst viele Menschen, das braucht eine Stiftung auch. Du kannst gut die Öffentlichkeitsarbeit machen.' Wenn das meine Aufgabe ist, komme ich gerne.“
Der Tod Werner Böses löste bei den Stiftungsmitgliedern fast zwei Jahre Orientierungslosigkeit aus, meint Doro. „Wir sind kopflos rumgelaufen, haben überlegt, was hätte Werner jetzt gemacht, was hätte er gewollt.“ Die Idee des Literaturstipendiums zeigte ihnen einen neuen Weg: „Seitdem laufen wir wieder in eine Richtung.“ Dabei ist Werner Böse in den Gedanken der Mitglieder weiterhin dabei. „Da wäre Werner ganz schön stolz auf uns gewesen.“
So langsam müssen wir für heute mit dem Gespräch zum Ende kommen. Aber bevor wir uns trennen, möchte ich von Doro passend zum Literaturstipendium noch ihre Lektüre erfahren. „So wie mein Leben ist, so unterschiedlich, kann man mich ganz verschieden mit Musik und mit Literatur abholen.“ Gerade hat sich Doro die Biografie von Frederick Douglass gekauft, angeregt durch die Ausstellung im Mönchehausmuseum. Der Kaiserringträger von 2022 Isaac Julien zeigte dort u.a. auch einen Film über Douglass, einen ehemaligen US-amerikanischen Sklaven, der es geschafft hat, der Sklaverei zu entfliehen und Schriftsteller und Politiker zu werden. Auf dieses Buch sei sie schon sehr gespannt. „Und zwischendurch lese ist das Alte Testament. Das Neue kennt man als evangelischer Mensch, da weiß ich ein bisschen Bescheid, aber das Alte kenne ich nicht so gut. Da dachte ich, ich lese mal Genesis, Moses, über die ganzen Stämme Israels. Es ist schwer zu verstehen, ich habe so eine Erklärungsbibel, damit ich manche Begriffe besser verstehen kann. Aber das kann ich nicht wie einen Roman lesen.“ Bei einem vorherigen Gespräch hatte Doro mir auch den Podcast „Unter Pfarrerstöchtern“ empfohlen, in welchem Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT, und Johanna Haberer, Theologieprofessorin, über die Bibel sprechen. Erotische Literatur liest Doro auch dann und wann und zeitgenössische Autorinnen wie Juli Zeh, deren eigenen Stil sie schätzt.
Doro hat ein buntes Leben und es wird nicht eine Sekunde langweilig, immer wieder können wir herzlich lachen. Ich könnte ihrer Stimme noch lange lauschen, sie klingt so angenehm leuchtend im Ohr. Wer weiß vielleicht wird sie in ihrem neuen Lebensabschnitt Hörbücher einlesen?